Franciscus Dőry: Decreta Regni Hungariae : Gesetze und Verordnungen Ungarns 1301–1457 (Magyar Országos Levéltár kiadványai, II. Forráskiadványok 11. Budapest, 1976)
Einleitung
genden Fällen einzuberufen, wenn sich die Notwendigkeit einer Regelung allgemeinen Charakters ergab oder aber der König hatte gar nicht die Absicht, ihn einzuberufen. Die so erlassenen königlichen Dekrete können im eigentlichen Sinne des Wortes nicht Gesetze genannt werden, ob jedoch in bezug auf Rechtsgültigkeit zwischen ihnen und den auf dem Reichstag erlassenen Gesetzen irgendein Unterschied bestand, ist nicht zu beweisen. Die mittelalterliche ungarische Auffassung kannte noch keinen verfassungsrechtlichen Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung des Königs. Weder im positiven Gesetz noch im Gewohnheitsrecht wurde abgegrenzt, in welchen Angelegenheiten der König allein vorgehen konnte, ohne den Reichstag zu befragen und in welchen dessen Zustimmung erforderlich war. Die nicht auf dem Reichstag erlassenen königlichen Dekrete, z. B. das von Sigismund vom Jahre 1397 über die Freizügigkeit der Leibeigenen, waren rechtlich ebenso verbindlich wie die Gesetze; aus rechtsgeschichtlicher Sicht beurteilt kann meiner Meinung nach nicht beanstandet werden, daß wir diese als Ergänzung in die Ausgabe der ungarischen Gesetze des Mittelalters aufnehmen, natürlich nur solche, die an alle Einwohner des Landes gerichtet sind und die Gesamtheit berühren." 33 Diejenigen traditionell aufgenommenen Texte, die dieser Forderung nicht entsprechen (wie die sog. Admonitiones König Stephans oder der Kammervertrag von 1342) wollte Döry im Anhang veröffentlichen. Dem prinzipiellen Standpunkt von Döry kam um die Jahrhundertwende István Zsindely nahe, der erklärte: „Es ist richtiger, die Unterscheidung hier noch nicht nach der Form, sondern nach dem Inhalt durchzuführen." 34 Der Inhalt ist in der Tat der einzige Wegweiser bei der Beurteilung der Gesetzgebung der Anjous und Sigismunds. Im 14. Jahrhundert muß als Dekret jede allgemeingültige Norm angesehen werden, die der König entweder mit seinem Rat (prelati et barones) oder auf Ersuchen bzw. mit Zustimmung der engeren oder breiteren Versammlung des Adels erlassen hat. Obgleich die Folgen der mittelalterlichen Idee vom „alten guten Recht" auch noch im 15. Jahrhundert zu spüren waren, beanspruchten die letzten Arpaden nach dem Studium des römischen Rechts bewußt die Gesetzgebungsgewalt und Karl I. von Anjou hat die bestehende Rechtsgewohnheit aufgrund der „plenitudo potestatis" von den 1320er Jahren ab entschieden abgeändert. Seine Kanzlei verkündete stolz, daß nach dem Vorbild des Naturrechts „leges per ora principum promulgate divinitus processerunt", während sein Sohn, Ludwig I., das Parlament des vorübergehend eroberten Neapel 1348 als „lex animata in terris" einberief. 35 Trotzdem sind relativ wenige Spuren der Gesetzgebung der Anjous im 14. Jahrhundert erhalten geblieben. Dies ist teils der spärlichen Überlieferung zuzuschreiben, ist doch das erste Dekret unseres Bandes in einem Formelbuch aus dem 14. Jahrhundert auf uns gekommen, und zwar ohne die auf die Gesetzge33 In dem für die Einleitung der vorliegenden Veröffentlichung bestimmten Text. 34 Magyar alkotmány az Anjouk és Zsigmond alatt (Ungarische Verfassung zur Zeit der Anjous und Sigismunds). Sárospatak 1899, p. 39. Anm. 3. Seines Erachtens sind nur die Dekrete vom 21. Dezember 1404 und 17. März 1427 keine Gesetze. 35 Die Angaben s. Gy. Bónis: Petrus de Vinea leveleskönyve Magyarországon (Der Briefsteller von Petrus de Vinea in Ungarn). Filológiai Közlöny 4 (1958) pp. 188-190; für das römische Recht, ders.: Einflüsse des römischen Rechts in Ungarn. Ius Romanum Medii Aevi, Pars V, 10, Mediolani 1964, § 21.