Komjáthy Miklós: Protokolle des Gemeinsamen Ministerrates der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (1914–1918) (Magyar Országos Levéltár kiadványai, II. Forráskiadványok 10. Budapest, 1966)

Einleitung: Die Entstehung des gemeinsamen Ministerrates und seine Tätigkeit während des Weltkrieges

aus den auf dem Konzept vorgenommenen Korrekturen ist klar ersichtlich, daß der Protokollführer bei der Niederschrift der Aufzeichnungen der Meinung war, an einer gemeinsamen Ministerkonferenz teilgenommen zu haben, über die jedoch das Protokoll nicht unter den üblichen Formen geführt werden sollte. Als Beweis zitiere ich die einleitenden Zeilen des Konzepts und den zum Protokoll seitwärts quasi als Titel geschriebenen Text : in eckigen Klammern stehen die Worte bzw. Ausdrücke, die der Minister des Äußern, Aehrenthal, bei Durch­sicht des vom Protokollführer niedergeschriebenen Textes durchgestrichen hat. Das Protokoll beginnt folgendermaßen : »Am 1. Dezember fand im Ministerium des Äußern eine Besprechung der gemeinsamen Minister statt [eine gemeinsame Minister-Conferenz] unter dem Vorsitze des Ministers des Äußern Baron Aehrenthal statt, an der auch die beiderseitigen Ministerpräsidenten teilnahmen. Diese Besprechung [Conferenz] war veranstaltet [einberufen] worden. . .« etc. 155 Das Konzept trägt den Titel: »Aufzeichnung über eine Besprechung [die Berathungen] der gemeinsamen Minister [Conferenz], die am ersten Dezember 1907 [im Mini­sterium des Äußern unter dem Vorsitze] bei dem Herrn Minister des Äußern Frei­herrn von Aerenthal [abgehalten wurde] über die gegenwärtige Situation in Bos­nien und der Herzegowina stattfand.« Der Außenminister hat an den Rand noch folgende Weisung an die Kanzlei geschrieben: »Kaisereinlauf (sodann Erzherzog Franz Ferdinand), Baron Buriän, Freih. v. Schönaich.« Die Kanzlei (offenbar die Präsidialsektion des Ministeriums des Äußern) verfügte — der Anweisung des Ministers entsprechend —, die Aufzeichnung in vier Exemplaren auszufertigen (eines für den Kaiser, eines für Finanzminister Burián, eines für Kriegsminister Schönaich und eines für den Minister des Äußern). 158 Aehrenthals Korrekturen sollten eindeutig dokumentieren, daß er die seinerseits den gemeinsamen Ministern und dem österreichischen und dem ungarischen Mini­sterpräsidenten vorgelegte Frage nicht auf der Ebene eines gemeinsamen Ministerra­tes hatte beraten lassen. Bei der Behandlung der Formalitäten der Protokolle werden wir noch darauf zu sprechen kommen, daß es damals schon üblich war, die Konferenzprotokolle auf dem Mantelbogen, in der Rubrik Einsichtnahme auch von den an den Konferenzen teilnehmenden nicht gemeinsamen Ministern regel­mäßig unterzeichnen zu lassen. Die ministerielle Weisung über die Ausfertigung des Protokolls der Ministerbesprechung vom 1. Dezember 1907 sieht keine Abschriften für die beiden Regierungschefs vor. Offensichtlich aus der Erwägung, daß der österreichische und der ungarische Ministerpräsident — wie in den ersten Jahren nach dem Ausgleich praktiziert — nicht »vollberechtigte« Mitglieder des gemeinsamen Ministerrates seien, sondern nur die besten, vornehme Stellungen einnehmende Fachleute für gewisse Fragen, gewissermaßen — an das Zeitalter des Absolutismus erinnernd — die höchsten Ratgeber der Krone. Sie wurden den Verhandlungen zugezogen, damit man ihre Ansicht über ein Problem hörte, das im Leben der Österreichisch-Ungarischen Monarchie damals als lebenswichtig erschien und das das weitere Schicksal des Habsburgreiches tatsächlich in entscheidendem Maße beeinflußte. Dieses Problem war die Annexion Bosniens und der Herzego­wina, die im Jahre 1878 okkupiert wurden. Als die Okkupation zu einer europäi­schen Spannung führte, wurde die eine Alternative, die eventuelle kriegerische

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