Komjáthy Miklós: Protokolle des Gemeinsamen Ministerrates der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (1914–1918) (Magyar Országos Levéltár kiadványai, II. Forráskiadványok 10. Budapest, 1966)
Einleitung: Die Entstehung des gemeinsamen Ministerrates und seine Tätigkeit während des Weltkrieges
richteten, nicht gesorgt worden war. Der führende Staatsmann des Reiches hat — vielleicht unbewußt — mit seinem Antrag dazu beigetragen, die Lücken auszufüllen, so daß sich auch im bürgerlich-parlamentarischen Rahmen der Habsburgmonarchie Wege für die absolutistische Regierungsweise ergaben. Welches waren nun diese Wege und wo fanden sich in der sich herauskristallisierenden Regierungseinrichtung Punkte, die Gelegenheit boten, Metternichsche Methoden zur Verwirklichung Metternichscher politischer Ziele anzuwenden ? Die äußere Ordnung der Dinge erfolgte im Geist der Beustschen Eingabe. Franz Joseph ernannte Beust am 23. Juni 1867 unter Beibehaltung seines Postens als Minister des kaiserlichen Hauses und des Äußern zum Reichskanzler. Er bestätigte ihn auch in seiner bisherigen Eigenschaft als Vorsitzender des Ministerrates, bis das staatsrechtliche Verhältnis zwischen den Ländern der ungarischen Krone und seinen übrigen Ländern und Provinzen geregelt sein würde. Gleichzeitig wurde er ermächtigt, für seine Vertretung in letzterer Funktion persönliche Vorschläge zu unterbreiten. 115 Ede Wertheimer schreibt, der Kaiser habe Beust aus taktischen Erwägungen zum Reichskanzler ernannt. 116 Er habe damit den einheitlichen Reichscharakter der Monarchie zum Ausdruck bringen und knapp vor der bevorstehenden Behandlung des Ausgleichsgesetzes im österreichischen Parlament jene beruhigen wollen, die durch eine übermäßige Verselbständigung Ungarns eine Gefährdung der Einheit des Reiches befürchteten. Wie dem auch sei, der Entschluß war eher ein Ausdruck der jahrhundertealten politischen Kräfteverhältnisse als der politischen Tagesbedürfnisse und sicherte eher das Weiterleben jahrhundertealter politischer Bestrebungen als jene momentanen politischen Ziele, in deren Dienst die allerhöchste Entschließung erfolgte. Beusts Eingabe und der darauf erfolgte Entschluß des Herrschers geben uns die Möglichkeit, die Funktion des Reichskanzlers bzw. des Vorsitzenden der durch den Ausgleich geschaffenen gemeinsamen Regierung zu untersuchen. Wenn wir diesen Machtbereich in seine Elemente zerlegen, so bietet sich, meiner Meinung nach, die Möglichkeit, die oben angeführten Fragen (ob die Entwicklung der Monarchie nach dem Ausgleich tatsächlich entschieden in bürgerlicher Richtung erfolgte, ob sich nicht auch weiterhin absolutistische Auswirkungen zeigten usw.) annähernd genau zu beantworten. Aus Beusts Eingabe ist klar zu ersehen, daß er von seinen vielfältigen Machtpositionen seine Funktion als Minister des Äußern für die wichtigste hielt. Das war nicht allein die persönliche Überzeugung des früheren sächsischen und nun österreichischen Politikers. Dahinter verbarg sich zugleich jahrhundertealte Tradition der politischen Praxis des Habsburgreiches. Wohin diese Fäden der Tradition reichten, wird aus einigen konkreten Beispielen ersichtlich. Während des Absolutismus beschäftigte die führenden Politiker stets das Problem : wie es möglich wäre, zumindest in der Benennung, die Regierungsorgane des im Jahre 1848 zusammengebrochenen und 1849 irgendwie restaurierten Ancien régime mit der kurzlebigen verfassungsmäßigen Epoche in Einklang zu bringen. Im Jahre 1855 beantragte der Minister des Äußern Graf Buol-Schauenstein die Umbenennung bzw. die Berichtigung der Benennung des unter seiner Führung 3* 35