Komjáthy Miklós: Protokolle des Gemeinsamen Ministerrates der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (1914–1918) (Magyar Országos Levéltár kiadványai, II. Forráskiadványok 10. Budapest, 1966)

Einleitung: Die Entstehung des gemeinsamen Ministerrates und seine Tätigkeit während des Weltkrieges

Das Originalprotokoll oder eine der Abschriften ging manchmal während des Zirkulierens verloren, worüber im Zusammenhang mit dem Protokoll vom 24. Februar 1917 bereits die Rede war. 309 Joseph Redlich, der im letzten österreichi­schen Kabinett der Monarchie ein Portefeuille innehatte, schreibt in seinen Memoiren, er habe an der gemeinsamen Ministerkonferenz vom 30. Oktober teilgenommen. 310 Über diesen Ministerrat liegt kein Protokoll vor, ein solches wurde wahrscheinlich gar nicht mehr abgefaßt. Die einzige archivalische Spur ist eine Aufzeichnung, die auf einem Blatt zwischen den Ministerratsprotokollen vom 2. und 22. Oktober 1918 erliegt: »Protokoll No 552. niemals ins Archiv gelangt. 9/3. 1920. P.« 311 Daß dieses Protokoll nicht angefertigt wurde und auf dem Protokoll vom 22. Oktober die Kenntnisnahme durch den Herrscher fehlt, sind auf der Ebene der Aktenkunde wahrnehmbare Symptome des verhängnis­vollen Zurückbleibens der Amtsführung der Monarchie hinter den Ereignissen des Weltkrieges. Der gemeinsame Ministerrat tagte gewöhnlich in Wien, seltener in Budapest, während des Weltkrieges je einmal in Baden und in Laxenburg. Die äußeren Umstände der gemeinsamen Ministerkonferenzen beleuchtet die Aufnahme des am 22. März 1917 in Laxenburg abgehaltenen gemeinsamen Kronrats, die der Chef der Kabinettskanzlei des Kaisers und Königs Karls, Polzer-Hoditz, in seinen Memoiren veröffentlichte. 312 Die Mitglieder der Beratung sitzen um einen relativ kleinen Tisch. Der Schriftführer ist auf dem Bild nicht zu sehen. Von einer größeren Menge schriftlicher Vorlagen ist keine Spur. Diese Photographie ist ein getreuer Ausdruck des »mündliche Aussprache«-Charakters des gemeinsamen Ministerrates. XVIII Der Leser kann dem Verfasser mit Recht vorwerfen, daß er der Lösung eines Teils der gegenständlichen und erkannten Probleme aus dem Wege geht. Mit beinahe abwehrender Geste wendet sich der Verfasser nun auch der Frage der Quellenkritik der Protokolle zu. Vor allem deshalb, weil seiner Ansicht nach nur jene Quellenkritik relativ verläßliche Ergebnisse zeitigen kann, die auf die feste Basis von Feststellungen der geschichtlichen Hilfswissenschaften bzw. der Aktenkunde aufgebaut ist. Der Baum der ungarischen geschichtlichen Hilfswissenschaften trägt reichlich Früchte, wenn wir z. B. die Urkundenlehre betrachten, sogar der strengsten Kritik standhaltende Früchte, doch fehlt ihm der Ast der Aktenkunde. Die Protokolle des gemeinsamen Ministerrats der Österreichisch-Ungarischen Monarchie sind zwar dem Boden der westlichen Schriftlichkeit entsprossen, können also keines­wegs als Produkte der eigenartigen ungarischen Amtsführung betrachtet werden, so daß hier die Kategorien der westlichen Aktenkunde ohne Bedenken angewendet werden könnten. Diese aktenkundlichen Kategorien sind jedoch entstanden, ohne daß die Autoren der Aktenkunden über die Mauern der die Akten sozusagen physisch hervorbringenden Kanzleien hinausgeblickt hätten. Bei ihren Unter-

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