Mitteilungen des K. K. Archivrates 1. (Wien, 1914)

Dr. Bertold Bretholz: Zur Geschichte des mährischen Archivwesens

26 Dr. Bertold Breiholz. diese Verhältnisse wohl zur Genüge bekannt. Gleichwohl besitzen die verschiedenen staatlichen Ämter noch recht ansehnliche Archivmassen, die im allergünstigsten Falle von Registratursbeamten, zumeist aber gar nicht beaufsichtigt werden. Die Fürsorge, die den archivalischen Be­ständen dermalen in den verschiedensten staatlichen Ämtern zuteil wird, ist zweifellos höchst ungenügend. Ich will nicht davon sprechen, daß die Prachtbände der alten mährischen Landtafel, des »Juwels des Landes Mähren«, die mit dem Jahre 1348 beginnt, sich im Grundbuchamte be­findet; wie traurig es mit dem Aktenmaterial saee. XVIII und XIX in der Statthalterei bestellt ist, wurde erst vor kurzem offiziell festgestellt, ohne daß aber irgendwelche Abhilfe oder Besserung erfolgt wäre; be­sonders aufmerksam mache ich aber auf den reichen Bestand an alten Grundbüchern und neuzeitlichen Urbaren, die teils bei den Gerichten, teils bei den Steuer- und Grundbuchsämtern erliegen, für diese einen wertlosen Ballast darstellen und schon deshalb der Gefahr des Ver­derbens in höchstem Maße ausgesetzt sind. Wenn der k. k. Archivrat mit Hilfe seiner Konservatoren das bei den staatlichen Behörden er­liegende archivalische Material nur erst nach Inhalt, Umfang und Zeit­grenzen genau verzeichnen ließe, damit es vor weiteren Verlusten be­hütet werde oder damit man wenigstens jederzeit die eingetretenen Ver­luste konstatieren könne, so wäre dadurch der Wissenschaft und dem Archivwesen Mährens ein wesentlicher Dienst geleistet. Übersehen wir nur erst, was und wieviel erhalten ist, welchen Raum es beanspruchen möchte, um in der Hauptstadt zentralisiert und fachkundig aufbewahrt zu werden, dann wird sich auch der Weg finden lassen, um zu diesem letzten Ziele zu gelangen. Man kann wohl ohne Übertreibung sagen, daß in wenig anderen Provinzen das bei den staatlichen Behörden erliegende Archiv- material so schlecht behütet ist, als dermalen in Mähren; und es gehört wenig Voraussicht dazu, sich vorzustellen, daß hier Schäden und Ver­luste eintreten müssen, wenn nicht rechtzeitig vorgesorgt wird. Die Pflichten, die bisher gleichsam traditionell und sozusagen im übertragenen Wirkungskreis dem Landesarchiv in bezug auf die staatlichen Archivalien zufielen, sind erloschen, seitdem der Staat im k. k. Archivrat seine eigentliche Behörde für dieses Ressort besitzt. Verhältnismäßig wenig Bedeutung hatte die große Archivorgani­sation von 1856 für die mährischen Adelsarchive. Den heimischen Ge­schichtsforschern waren sie auch vorher nicht mehr unbekannt. Boczek hatte auf seinen mit dem Jahre 1841 beginnenden amtlichen Archiv­reisen im Lande Gelegenheit, von ihnen Kenntnis zu erhalten und sich bemüht, auch in sie Einlaß zu bekommen. Denn er durfte vermuten, ge­rade hier, an den Sitzen der alten Herrengeschlechter, das älteste und wichtigste Material zur Landesgeschichte vorzufinden. Diese Erwartungen

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