Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs (1883)
Kaiser Josef II. als Staatsmann und Feldherr - J. Nosinich, Oberst im k. k. Kriegs-Archive: Österreichs Politik und Kriege in den Jahren 1763 bis 1790; zugleich Vorgeschichte zu den Kriegen Österreiches gegen die französische Revolution
134 Kaiser Josef II. als Staatsmann und Feldherr etc. geschehen lind Anfangs Juni hatte die erste Zusammenkunft Josef II. mit Katharina II. in Mohilew stattgefunden. Als den vornehmsten Zweck dieses persönlichen Zusammentreffens bezeichnete Fürst Kaunitz in einer Denkschrift die Anbahnung eines vertrauten Einverständnisses zwischen den Höfen von Wien und Petersburg, welches den beiden Staaten nur zum grössten Vortheile gereichen könne. Man müsse der Kaiserin Katharina die Versicherung von der Absicht Österreichs geben, Preussen in keiner Weise feindlich entgegenzutreten, insofern sich dieses nicht herausfordernd verhalte. Ebensowenig denke Österreich daran, in Polen einen dynastisch verbundenen Fürsten auf den Thron zu setzen. Die feindselige Absicht, welche der Berliner Hof bei dem kaiserlichen Hofe voraussetze und propagire, sei nicht vorhanden und müsse auf das nachdrücklichste bekämpft werden. Wohl wurde von Friedrich II. dem Hause Österreich manche Unbill zugefügt. Preussen besitze ohne Zweifel ebensoviele Mittel zur Vertheidigung, wie Österreich zum Angriffe. Es liege im Interesse Russlands und vielleicht auch in jenem anderer Mächte, die preussische Macht zu erhalten. Um dies nicht einzusehen, müsste Österreich mit Blindheit geschlagen sein. Bei dem letzten Zusammen- stosse mit Preussen wurde Österreich von seinem Hauptverbündeten, Frankreich, im Stich gelassen, indess Russland seinen Alliirten, Preussen, unterstützte. Dadurch gewann die Politik Friedrich II. die Oberhand. Diesem Verhältnisse sollte nun die gegen Österreich gerichtete Spitze abgebrochen und der russischen Regierung die gegenseitige Gemeinschaft der grossen Interessen in’s Gedächtniss zurückgerufen werden. Bezüglich der Frage, wie sich Österreich zu den Vorsätzen und Plänen Russlands auf das Osmanische Reich zu stellen gedenke, wäre zu antworten, dass man österreichischerseits auf die Insinuationen des St. Petersburger Hofes eingehen werde. Potemkin, auf dessen Einfluss die ganze Unterhandlung sich gründete, sollte gewonnen, gegenseitiges Einvernehmen über alle anderen Fragen und durchgehende Reciprocität beider Mächte herbeizuführen gesucht werden. Die zwischen Russland und der Pforte obwaltenden Differenzen würden durch friedliche Dazwischenkunft zu schlichten sein etc. *). Diesem Memoire des Fürsten Kaunitz gemäss, mit welchem der Kaiser vollkommen einverstanden war und von dem er sagte, dass die darin aufgestellten Punkte keinem Widerspruche unterliegen, behandelte Josef II. in den Unterredungen zu Mohilew und Petersburg die grossen Staatsfragen, gedachte nebenbei der über ihn vom Könige von Preussen ausgestreuten ungegründeten Gerüchte und gewann bald die Überzeugung, dass Katharina keine Bitterkeit mehr gegen Österreich nähre. Sie wollte Österreich auf gleichem Fusse mit Preussen behandeln, ohne *) Acten des k. k. Hof- und Staats-Archives.