Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs (1883)

Kaiser Josef II. als Staatsmann und Feldherr - J. Nosinich, Oberst im k. k. Kriegs-Archive: Österreichs Politik und Kriege in den Jahren 1763 bis 1790; zugleich Vorgeschichte zu den Kriegen Österreiches gegen die französische Revolution

IV. Der bayerische Erbfolgekrieg 1778—1779. 11 der Spitze von ungefähr 55.000 Mann mit 200 Geschützen zum Offen- sivstoss zu schreiten. Gleichzeitig sollte der Kaiser mit 65 Bataillonen, 105 Escadronen oder ungefähr 72.000 Mann, 19.000 Pferden mit 426 Geschützen aus der Elbestellung von Jaromér-Kukus-Schurz die Front und linke Flanke des königlichen Armeelagers bei Wolsdorf angreifen. Diese Unternehmung konnte längstens am 15. Juli oder an dem Tage stattfinden, an welchem Prinz Heinrich mit der Reorga­nisation und Approvisionirung seiner südlich Dresden cantonnirenden Streitkräfte noch beschäftigt war. Ob unter so günstigen Verhältnissen und bei einer solchen Machtüherlegenheit — 120.000 Österreicher gegen 80.000 Preussen — die feindliche Armee in der von preussischen Schriftstellern ') als äusserst nachtheilig geschilderten, durch mehrere Schluchten getrennten Lagerstellung bei Wolsdorf geschlagen worden wäre, bleibt eine offene Frage. Bei näherer Betrachtung der Kriegsoperationen vom Jahre 1778 tritt unwillkürlich die Ähnlichkeit der Lage mit jener im Feldzuge von 1866 vor die Augen. Auch diesmal operirten die preussischen Streitmassen, durch weite Räume von einander getrennt, gegen die auf der innern Linie stehenden Heeresmassen der verbündeten Austro- Sachsen von gleicher Zahlenstärke, indem sie in mehreren Colonnen durch die Grenzpässe über Nachod, Braunau, Trautenau, Zittau-Reichen­berg, Rumburg, Gabel in Böhmen einfielen. Auch jetzt wurde der Commandirende der k. k. Armee zu dem Entschlüsse gedrängt, mit ganzer concentrirter Kraft gegen die zunächst stehenden, über Nachod und Braunau einbrechenden feindlichen Colonnen sich zu wenden und diese zu vernichten, was bekanntlich unterlassen oder doch in unvoll­ständiger Weise in Scene gesetzt wurde 1 2). Kaiser Josef ertheilte Feldmarschall v. Loudon bezüglich seines Antrages die Antwort, der König habe am 8. Juli ein festes Lager hei Wolsdorf bezogen, in welchem er nur mit grossem Nachtheil angegriffen werden könnte. Überdies würde die Zusammenziehung des grössten Theiles beider Armeen mehrere Tage erfordern. Wenn aber auch diese Unzukömmlichkeiten nicht bestünden und der Entschluss gefasst würde, dem Prinzen Heinrich freie Hand zu lassen, so wären die Mittel, dem Feinde das weitere Vordringen in Böhmen zu ver­wehren, noch nicht derart erschöpft, dass man Alles auf die Ent­scheidung einer Schlacht ankommen liesse, da deren glücklicher Aus­1) Schmettau: Mémoires raisonnés sur la Campagne de 1778 en Boheme. 2) „Österreichs Kämpfe im Jahre 1866.“ Nach Feldacten bearbeitet durch das k. k. Generalstabs-Bureau für Kriegsgeschichte. Wien 1867 bis 1869.

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