Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs (1882)
Josef Rechberger Ritter von Rechkron, Oberstlieutenant im k. k. Kriegs-Archive: Wien's militärische Bedeutung (Eine historische Studie)
II. Wien’s kriegshistorische Vergangenheit. 309 Drei Jahre später (1800) war Wien abermals das Operationsziel des französischen Feldherrn: „l’armée du Rhin sous les ordres du General Moreau destinée ä passer l’Inn, et ä marcher sur Vienne par la vallóé du Danube“. Zunächst hatte er 1800 die Eroberung Tirols von Westen her und die Festhaltung der Österreicher am unteren Inn im Auge, um nach Gewinnung Tirols und des oberen Inn diesen Fluss auch in Bayern zu überschreiten, und dann im Donauthale vorzudringen. Schon am 21. December mussten sich die Österreicher hinter die Enns zurückziehen, und dadurch war die Gefahr für Wien so dringend geworden, dass Erzherzog Carl den General „Meerweldt nach Wels zur Unterhandlung eines Waffenstillstandes“ absendete. Ungeachtet England auf der Fortsetzung der Feindseligkeiten beharren wollte, sah sich Kaiser Franz doch genöthigt, die „ausdrückliche Erklärung“ an den General Moreau zu senden, „dass Seine Majestät gesonnen seie — was auch die Meinung der Alliirten sein werde — den Frieden zu unterhandeln“. „Nur nach dieser Erklärung“ zeigte sich der französische General zum Abschlüsse eines Waffenstillstandes geneigt. Ein Zeitgenosse berichtet diesfalls: „Erfreulicher als dieser Waffenstillstand konnte wohl den Bewohnern Wien’s nichts widerfahren. In fürchterlicher Nähe war die Gefahr dieser Hauptstadt nahe gerückt, die Armee schon in Kemmelbach, als man am 24. December erst ernstlich anfing, die Hauptstadt in Vertheidigungszustand zu setzen“ ')• Den Commentar zu dieser Äusserung bildet folgende Stelle aus Dumas’: „Precis des évencments militairs“: „Man war in Wien in der grössten Bestürzung, und wie dies fast immer in den vom Feinde unmittelbar bedrohten Reichshauptstädten geschieht, mussten die Äusserungen der Anhänglichkeit an das Kaiserhaus und die patriotischen Rufe dem Schrecken, der sich aller Geister bemächtigt hatte, zur Maske dienen. Man bewaffnete sich, man bildete freiwillige Corps, aber man rief laut nach dem Frieden um jeden Preis.“ Um seine Stadt Wien vor der feindlichen Invasion zu bewahren, musste Kaiser Franz selbst auf die Gefahr hin, den mächtigen Alliirten England zu verlieren * 2), den Frieden schliessen. Am 9. Februar 1801 wurde derselbe zu Luneville unterzeichnet, und in Folge dessen *) „Schnell, mit aller Anstrengung unter der grössten Verantwortung“ sollte nunmehr „die Stadt mit ihren Linien wällen in Stand gesetzt“ werden. Diesbezüglich ist in dem Actenmateriale folgende Bemerkung angefügt: „ . . .ob aber die Zeit, wenn der Waffenstillstand nicht eintrat, nicht zu kurz geworden wäre, um die Ver- theidigung in gehörigen Stand zu setzen, darüber scheint kaum ein Zweifel obzuwalten.“ 2) „Die augenblickliche Gefahr, in welcher die Monarchie geschwebt hatte, erlaubte nicht, den am 20. Juni 1800 mit England abgeschlossenen und erst mit Ende Februar 1801 erlöschenden Tractat zu beachten. Nothgedrungen sagte man sich von dem Bündnisse los. England, hiedurch seiner Verbindlichkeiten ledig, hörte auf, die Subsidien an die verschiedenen Keichs-Auxiliar-Corps zu zahlen.“