Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs - Die Occupation Bosniens und der Herzegovina (1879)

Einleitung

Vorgeschichte. 13 Zur Verhinderung der vielen, während der letzten fünfzig Jahre im nordwestlichen Theil der Balkan-Halbinsel ausgebrochenen Revo­lutionen, welche Oesterreich-Ungarn stets mehr oder minder in Mitleiden­schaft zogen, hielt die k. k. Regierung die rückhaltslose Durchführung der aus freiem Willen der Pforte hervorgegangenen und in inter­nationalen Verträgen verbrieften Reformen höchst wünschenswerth. Deshalb beeilte sie sich, auf die Abstellung aller ihr zur Kenntniss gebrachten, gegen die Tractate, deren Mitunterzeichner sie war, ge­richteten Missbräuche zu dringen. Im Jahre 1873 war eine gewisse Steigerung des Fanatismus auf dem ganzen nördlichen Theile der Balkan-Halbinsel bemerkbar geworden, der sich schon früher in einem Theile Bosniens kundge­geben und bald durch Demonstrationen gegen den Gebrauch der Glocken, bald durch Drohungen, Acte der Gewaltthätigkeit und selbst an den Christen begangenen Mordthaten verrathen hatte. Am 16. Juni berichtete der Landes-Commandirende in Croatien, FZM. Freiherr von Mollinary, dass 24 bosnische Kaufleute auf das österreichisch­ungarische Gebiet übergetreten, weil sie bei den höheren Behörden und dem Sultan wegen Bedrückungen Klage geführt und hierwegen von den Localbehörden mit Hinrichtung bedroht worden waren. Da in letzter Zeit viele Christen bei Banjaluka unschuldig ermordet und eingekerkert, ja sogar der österreichische Vice-Consul bedroht wurde, so ergriffen sie die Flucht und bäten um Schutz. Der k. u. k. Minister des Auswärtigen, Graf Andrássy, nahm sich dieser emigrirten Kaufleute an, remonstrirte gegen das Verbot des Glockengeläutes in Durazzo und beschloss seine diesbezüglichen Aus­einandersetzungen mit der türkischen Regierung dadurch, dass er ihr die Alternative stellte: entweder den österreichischen Botschafter von Con- stantinopel abberufen und ein Kriegsschiff Seiner Majestät Kriegsmarine in die Gewässer von Durazzo zum Schutze österreichischer Unterthanen einlaufen zu sehen, oder aber die geforderte Genugthuung zu geben *). Der Gesammteindruck, bemerkte der Minister, welchen die bisher einge­gangenen Berichte auf ihn hervorgebracht, lasse sich dahin formuliren, dass die Verwaltung und die Rechtspflege in Bosnien mancher Ver­besserung bedürftig erscheinen. Die Unterdrückungen der Christen fanden statt, obgleich sie in vielen Bittschriften von 1870 bis 1873 ihre Klagen zur Kenntniss der Regierung gebracht hatten. Kaum waren die zuvor erwähnten Streitfragen durch Nachgie­bigkeit der Türkei beigelegt, als eine blutige Fehde zwischen den Türken und Montenegrinern in Podgorica am 10. October 1874, wobei mehrere Montenegriner um’s Leben kamen, die ernstesten Besorgnisse wegen Erhaltung des Friedensstandes jenseits der österreichischen Grenzen erregte. Die gegenseitige Erbitterung steigerte sich bis zu dem Grade, dass die Türken ein Truppen-Corps bei Podgorica zusam­*) Actenstücke aus den Correspondenzen des k. u. k. gemeinsamen Mini­steriums des Aeusseren über orientalische Angelegenheiten (vom 16. Mai 1873 bis 31. Mai 1877), Depeschen vom 21. October 1873 und 10. August 1874.

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