Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs - Die Occupation Bosniens und der Herzegovina (1879)
Einleitung
14 Vorgeschichte. menzogen und grössere Streitkräfte an die Grenzen Montenegros vorschoben, der Fürst Nicolaus dagegen die Notablen des Fürstenthums auf den 18. Januar 1875 nach Cetinje berief und inzwischen den Schutz seiner Sache dem Wohlwollen der befreundeten Mächte Oesterreich und Russland anvertraute. Angesichts dieser den Frieden im Orient bedrohenden Gefahren legte sich das österreichische Cabinet in’s Mittel, ertheilte dem Fürsten von Montenegro Rathschläge der Mässigung und appellirte wiederholt an die Klugheit der ottomanischen Regierung *). Die Angelegenheit von Podgorica war von der Tagesordnung der europäischen Diplomatie noch nicht abgesetzt, als sich ein neuer Zündstoff häufte, um den unter der Asche fortglimmenden Brand der orientalischen Frage jeden Augenblick zu hellen Flammen anzufachen. Den 13. April 1875 meldete der k. u. k. General-Consul in Scutari, Herr Wassitsch, es seien ihm von Seite Montenegro’s Mittheilungen über Emigrationen aus der Hercegovina nach dem Fürstenthum gemacht worden, die, wenn ihnen rechtzeitig nicht vorgebeugt würde, leicht bedauerliche Folgen haben könnten. Aus den hercegovinischen Bezirken Nevesinje, Stolac, Gacko und Trebinje haben sich 120 Ortsvorsteher nach Montenegro geflüchtet und hier öffentlich erklärt, wegen unerträglichen Bedrückungen in die Heimat nicht mehr zurückkehren zu wollen, so lange die türkische Verwaltung dort fortdauert. In derselben Angelegenheit wandte sich der Fürst von Montenegro selber am 23. Mai 1875 an das Wiener Cabinet mit der Bitte, dasselbe möge, da seine Beziehungen mit der Pforte seit der Podgorica-Affaire noch fortwährend gespannt seien, entsprechende Schritte in Constantinopel behufs Repatriirung der Flüchtlinge thun, deren Aufenthalt im Fürstenthum seiner Regierung grosse Verlegenheiten bereitet, finanzielle Opfer auferlegt und zu einer schwierigen Ueberwachung nöthigt. Das k. u. k. Cabinet nahm sich sofort der Sache an und die Pforte ertheilte ihre Einwilligung zur straflosen Rückkehr der Emigranten 2). Die Haltung der rückgekehrten Flüchtlinge gab jedoch alsbald zu Besorgnissen Anlass; sie fügten sich nicht den Anordnungen des Kaimakams, vertrieben an verschiedenen Orten die Zaptiehs oder Gendarmen, verweigerten die Steuerzahlung, namentlich in den Bezirken Stolac und Nevesinje, wo Renitenzen gegen Gutsherren und Steuerpächter vox’kamen, und beanspruchten verschiedene Privilegien. Nach und nach bildeten sich bewaffnete Banden, welche die Autorität der türkischen Regierung untergruben und im Juli 1875 kam es zu Thätlichkeiten, denen zufolge zahlreiche christliche Familien mit Hab und Gut auf das benachbarte österreichische Gebiet übertraten. Zu dieser Zeit standen an türkischen Truppen 6 bis 8 Bataillone, 1 Schwadron und 1 bis 2 Gebirgs-Batterien in Stärke von 4000 bis 5000 Mann in der ganzen Hercegovina zerstreut. Da bei dem Ausbruch dieser Bewegung von rein agrarischem Charakter nicht allein die im 4) Notenwechsel vom 23. October 1874 bis 17. Mai 1875. 2) Depeschenwechsel vom 13. April bis 3. Juli 1875.