Valló István szerk.: Győri Szemle 3. évfolyam, 1932.
III. évfolyam. 4-6. szám. 1932. április-június - Dessoir Max: A lélekismerő Goethe
kunft über die seelischen Vorgänge in den von ihm geschaffenen Personen zu erhalten. Selbst in Werken, deren Art es nahelegen würde, wie im Werter, im Wilhelm Meister und in den Wahlverwandtschaften, ejeschieht es selten. Dafür hat Goethe künstlerische Gründe, die uns hier nichts angehen, aber auch einen psychologischen Grund, nämlich die Ansicht, dass der Mensch nur mittelbar von sich weiss. Ganz wie August Comte ist Goethe, der doch gewiss kein Positivist war, der Meinung, dass der Einzelne sich nie rein als Objekt betrachten, daher auch nie selbst kennen lernen kann. Jedoch anders als der Positivismus lehrt Goethe Selbsterkenntnis als Folge des Selbsthandelns. »Versuche deine Pflicht zu tun, und du weisst gleich, was an dir ist« — sagen die Sprüche in Prosa. Der Einzelne lernt also sich selber kennen durch Rückschau 'auf die Grundsätze seines Handelns. Hiermit stimmt die Gestaltung des Handelns in Goethes Dramen überein. Nirgends wird eine einzelne Handlung zum Mittelpunkt einer Dichtung, sodass die Entwicklung auf diese Handlung zustrebt, von dem bestimmten Geschehen fortgetrieben und zum Ende geführt wird. Wie in den theoretischen Aeusserungen, so gilt auch in Goethes Drama das Handeln als der entscheidende Ausdruck einer Persönlichkeit; aus dem Tun im ganzen wird die Persönlichkeit kenntlich. Sonach ist zwar der Mensch durch sein Tun zu kennzeichnen, aber niemals ist die einzelne Tat ein letzter Wert. Wenn nun das Individuum nicht durch Sich-Belauschen und Sich-Zergrübeln Kenntnis von sich gewinnt, sondern vornehmlich aus dem eigenen Tun, so muss gegenüber einem Anderen noch ein neues Moment hinzukommen. Das Wissen von fremden Seelen setzt gewissermassen ideae innatae voraus. Goethe hat am 22. October 1828 zu Eckermann gesagt: »Meine Idee von den Frauen ist nicht von den Erscheinungen der Wirklichkeit abstrahiert, sondern sie ist mir angeboren oder in mir entstanden, Gott weiss wie.« Er nennt das eine «Anticipation der Kenntnis mannigfaltiger menschlicher Zustände« (zu Eckermann am 26. Februar 1824). Hiermit soll keineswegs gesagt sein, dass Goethe alles Einzelne hellseherisch vorausgeschaut habe, es ist lediglich gemeint, dass die Struktur gewisser seelischer Typen sozusagen ohne Erfahrung erfasst werden kann. Hegel hat einmal geäussert, ein ideenloses Auge könne in der Geschichte keine Ideen finden. So hat wohl auch Goethe gedacht, dass ohne ein Wissen vom Seelischen überhaupt das Verständnis anderer Menschen kaum möglich ist. Goethe scheint wirklich mit einer psychologischen Begabung auf die Welt 5*