A Herman Ottó Múzeum Évkönyve 4. (1964)
BARSI Ernő: Népzenénk problémái egy daloló sülyi pásztor életének tükrében
112 BARSI ERNŐ PROBLEME DER UNGARISCHEN VOLKSMUSIK. WIE SIE SICH IM LEBEN EINES HIRTEN VON SÁLY WIDERSPIEGELN Unsere Volksmusikswissenschaft untersuchte die Volksweisen vor allem als Musikwerke und versuchte mit den Mitteln der musikalischen Analyse in dieses Gebiet einzudringen. Doch erstreckten sich die Untersuchungen kaum auf den Sänger, auf das Leben, das hinter diesen Liedern steckte, und die Beziehungen, die zwischen dem Lied und dem Menschen bestanden. Ein jedes Kunstwerk widerspiegelt mit seinen arteigenen Mitteln das Leben ; bringt uns einer Erkenntnis des Lebens näher. Eine Darstellung des Lebens, das diese Kunstwerke gezeitigt hatte, führt zu einer besseren Erfassung der Kunstschöpfungen. Die Beziehungen zwischen der Volksmusik und dem Menschen bildeten den Gegenstand meiner Untersuchungen, die sich mit dem liederkundigen, 71jährigen Hirten András Tarján vorgenommen hatte. Er ist der letzte Sproß einer uralten Hirtenfamilie, der seines Zeichens gleichfalls Hirte ist. Die Liebe zu seinem Beruf, seine Sachkenntnis, die Fähigkeit, aus Naturerscheinungen folgern zu können, seine abergläubischen Vorstellungen, alten Bräuche, sein musikalisches Talent und sein Liederschatz sind das Erbe, das von seinen Hirten-Vorfahren auf ihn überkommen ist. Während der vergangenen acht Jahre habe ich 352 seiner Melodien aufgezeichnet. Das Leben, das dieser Kenner vieler Melodien lebte, war einfach. Die Schule hatte er kaum besucht; Lesen und Schreiben lernte er beim Militär. Wenn wir dies bedenken, wundert es umso mehr, daß die Texte seiner nach dem Gehör erlernten Lieder sowohl quantitativ als auch das Dichterische betreffend einer Antologie gleichkommen. Er kannte nur ein einziges Buch: seine kleine Bibel. Niemals in seinem Leben hatte er ein Theater, ein Kino besucht. Den Rundfunk hörte er erst in allerletzter Zeit, aber auch dann nur selten. Seine Kleidung und Ernährung sind denkbar einfach. Gegenwärtig trägt er zwar schon ein uniformisiertes Arbeitsgewand ; vor kurzem aber war er noch so gekleidet, wie es bei den ungarischen Hirten üblich war: er trug ein Hemd mit weiten Ärmeln und die breiten Hose (gatya) aus hausgewebter Leinwand und Stiefeln. Gegen Regen und Wind schützte ihn der buntgestickte Mantel aus Grobtuch (szűr), gegen die Kälte der mit dem Fell nach außen gekehrte Schafspelz. Dazu hatte er einen breitrandigen Hut mit Federschmuck. Auch heute noch ißt er zum Frühstück nur Brot. Zum Mittagessen bereitet er sich fürgewöhnlich eine Mehlspeissuppe (lebbencs); davon läßt er etwas für das Abendessen. Nur selten ißt er Fleisch oder gekochte Mehlspeisen, wenn ihm nähmlich seine Frau wöchentlich einmal das Mittagessen auf die Weide bringt. Im Sommer steht er jeden Tag um zwei Uhr auf; melkt seine Schafe ; wandert mit ihnen von einer Bergweide zur anderen, bis zum späten Abend. Zieht täglich aus dem Schwengelbrunnen das Trinkwasser für seine 300 Schafe. Nur selten begegnet er Menschen. Und dennoch ist er glücklich und zufrieden. Er singt auch dann, wenn ihn niemand hört und hat seine Freude daran. Das Lied und seine Schalmei machen ihm die Einsamkeit erträglich und schön. In der Musik findet er volle geistige und ästhetische Befriedigung. Die Hauptquellen, aus denen er seinen Liederschatz schöpfte, waren sein Vater, ein Jugendfreund und die Kameraden beim Militär. Bei der Systematisierung seines Melodienschatzes ging es vor allem um die Absonderung der Volksweisen von den Kunstliedern. Durch eine Aufteilung der Volks-