Schürer, Fritz von Waldheim dr.: Ignaz Philipp Semmelweis (Wien-Leipzig, 1905)

1818-1845. Kindheit und Jugendjahre

2 ward ein frischer, aufgeweckter Jüngling, heiter und lebenslustig, tat­kräftig, mit einem offenen Sinn für die Natur und ihre unendlichen Geheimnisse. Sein Auge blieb unverdorben, sein Gedächtnis von aus­gezeichneter Klarheit und Sicherheit, weil beide niemals überlastet wurden. Er saß nicht soviel über den Büchern, daß seine ihm angeborene geniale Beobachtungsgabe verkümmerte; er füllte sein Gehirn nicht so sehr mit der Gedankenwelt der Vergangenheit, daß er verlernte, selbst­ständig zu denken. Ohne allen Autoritätsglauben, nahm er naiv das Recht für sich in Anspruch, zu sehen und zu denken, wie seine Augen, sein Hirn ihn lehrten. Und der schließliche Erfolg zeigte, daß die Art, wie er sah und dachte, die richtige war. Gegenüber einer ganzen Welt von Gelehrten behielt der Mann mit der mangelhaften Gymnasialbildung Recht! Nachdem er die zwei Jahre Philosophie an der Universität zu Pest gemacht hatte, trat die große Frage an ihn heran: Was werden? Des Vaters Ehrgeiz wollte aus ihm einen Auditor der kaiserlichen Armee machen, und obwohl die inzwischen auf zehn Köpfe heran­gewachsene Familie ein eingeschränkteres Leben nötig machte, scheute ersterer nicht davor zurück, seinen braven Sohn nach Wien auf die Universität zu senden. Im Herbst 1837 reiste der neunzehnjährige Student dahin und inskribierte als Jurist. Doch die Juristerei ent­täuschte ihn und gerne ließ er sich gelegentlich von einem befreun­deten Mediziner überreden, die Anatomie zu besuchen. Dort, in den finsteren Räumen der ehemaligen Gewehrfabrik in der Schwarzspanier­straße, in den übelriechenden Sezierkammern lauschte Semmelweis dem Vortrage des tüchtigen Anatomen Professor Josef Berres, und kam mit einem Schlage zu der Erkenntnis, daß sein Sinnen und Trachten der Naturforschung, der Medizin gelte. Sofort sattelte er um. Für den erstjährigen Mediziner waren damals folgende Vorlesungen vorge­schrieben: Einleitung in das medizinisch-chirurgische Studium, spezielle Naturgeschichte, systematische Anatomie, Botanik. In letzterem Fache hatte Semmelweis das Glück, noch dem Vortrage des berühmten J. F. v. Jacquin lauschen zu können. Vielleicht wegen der geringeren Kosten, wohl auch, um der Fa­milie nahe zu sein und das Ungarische nicht ganz zu verlernen, absol­vierte er den 2. und 3. Jahrgang an der Pester Universität. Dort hörte er zunächst höhere Anatomie und Physiologie, allgemeine Chemie, Pharmazie und Tierchemie, dann allgemeine Pathologie und Therapie, Ätiologie, Semiotik, Materia medica et chirurgica, Diätetik und Rezep- tierkunst. Seine damaligen Pester Professoren scheinen einen nach­haltigeren Eindruck auf ihn nicht hervorgerufen zu haben, wenigstens gedachte er später derselben niemals. In den Schuljahren 1840/41 und 1841/42 sehen wir Semmelweis behufs Absolvierung des 4. und 5. Jahr­ganges wieder in Wien. Daselbst hörte er zunächst Geburtshilfe bei Klein, Chirurgie bei Wattmann, Ophthalmologie bei Rosas, Verband- und Instrumentenlehre, sodann Veterinärkunde, gerichtliche Medizin, Medizinalpolizei, spezielle Pathologie und Therapie der inneren Krank­heiten bei v. Hildenbrand und besuchte fleißig die Kliniken.

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