Schürer, Fritz von Waldheim dr.: Ignaz Philipp Semmelweis (Wien-Leipzig, 1905)

1818-1845. Kindheit und Jugendjahre

3 Stets frei von Nahrungssorgen, bei seinen Kollegen beliebt „wegen seines heiteren Wesens und biederen Charakters”,*) lebensfroh, ein Genußmensch im besten Sinne des Wortes,**) verlebte er als flotter, zugleich fleißiger Studio gar wonnige Zeiten. Zur Erlangung des medizinischen Doktorates unterzog er sich der ersten strengen Prüfung aus Naturgeschichte, Anatomie, Botanik, Semiotik, allgemeiner Pathologie und Therapie, sowie spezieller Patho­logie und Therapie der inneren Krankheiten am 8. November 1843 mit dem Erfolge „sat bene”, dann dem 2. Rigorosum (Chemie, Materia medica et chirurgica, Diätetik und Rezeptierkunst, Ophthalmologie, ge­richtliche Medizin und Medizinalpolizei) am G. Februar 1844 mit dem gleichen Erfolge.***) Für seine Dissertation hatte sich Semmelweis, dem damaligen Medizinunterrichte entsprechend, ein Thema aus der Botanik — „De vita plantarum” — gewählt, ein Beweis, wie sehr ihn die Naturwissenschaften überhaupt interessierten, aber auch, wie sehr ihn Jacquin und sein trefflicher Nachfolger, Professor St. L. Endlicher, für ihr schönes Fach zu begeistern vermochten. Bei der Disputation über seine Dissertation am 2. März 1844 erreichte er den Kalkül „bene”,***) und am 2. April 1844 sollte ihm das Diplom eines Doktors der Medi­zin überreicht werden. Allein Semmelweis erschien nicht, ebensowenig eine schriftliche Entschuldigung.f) Er war nämlich plötzlich abgereist, um nach Ofen an das Krankenlager seiner sterbenden Mutter zu eilen. Nach ihrem Tode kehrte er nach Wien zurück und am 21. April 1844 fand seine Promotion statt. In das Promotionsbuch, welches im Pedellen- amte der Wiener Universität aufbewahrt wird, trug er seine Unter­schrift ein in der Rubrik: „Erklärt, nicht in Wien bleiben zu wollen.” Für das Magisterium der Geburtshilfe, das nun zu erringen war, bereitete sich Semmelweis besonders sorgfältig vor, denn Geburtshilfe war sein Lieblingsgegenstand. Den zweimonatlichen, praktischen Kurs bei Dr. Johann Chiari, dem Assistenten der Gebärklinik für Ärzte, machte er zweimal mit. Zu diesem Kurse drängte sich stets eine große Zahl von Medizinern und Ärzten, In- und Ausländern, „Ärzten aus allen Ländern der zivilisierten Welt”;ff) er war berühmt wegen des kolossalen Beobachtungsmateriales, welches das Wiener Gebärhaus, das größte der Welt, darbot. Damals trug sich ein Fall zu, dessen sich Chiari und Semmelweis später oft noch erinnerten.fff) Eine Frau, welche an fibrösen Gebärmutterpolypen litt, wurde auf die Klinik gebracht, um operiert zu werden. Alsbald erkrankte sie jedoch unter fieberhaften Erscheinungen und starb. Die Sektion wies die pathologisch­anatomischen Befunde des Kindbettfiebers nach. Assistent Chiari, welcher nur um ein Jahr älter war als Semmelweis, huldigte natürlich *) Hirschler. **) Arneth, mündliche Mitteilungen. ***) Nach dem Rigorosenkatalog im Dekanat der medizinischen Fakultät zu Wien. f) Nach dem Doktorenkatalog des Pedellenamtes der Universität Wien, ff) Semm., Ätiologie des Kindbettfiebers, p. 74. fff) Semm., Ätiologie, p. 428. 1*

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