Schürer, Fritz von Waldheim dr.: Ignaz Philipp Semmelweis (Wien-Leipzig, 1905)

1846-1850. Assistent in Wien. Entdeckung der Ursachen des Kindbettfeiebers. Erfolge und Verfolgungen. Dozent. Abreisen von Wien

30 Der Assistent und die Studierenden, welche Touchierungen machen und Geburten beiwohnen, müssen sich gänzlich von anatomischen Geschäften ent­halten. Die Sektionen von an Puerperalfieber Gestorbenen werden von Indi­viduen der medizinischen oder chirurgischen Abteilung oder von anderen Studierenden gemacht, höchstens ist es solchen, die an den ersten Tagen nicht an der Reihe sind, erlaubt, diesen beizuwohnen und die Resultate zu sehen, aber streng verboten, die Hände hierbei zu verunreinigen. Es ist meine Überzeugung, daß wir die uns anvertraute Menschheit nicht der Wißbegierde, welche auch seinerzeit früher oder später kann befriedigt werden, opfern dürfen. Daß die Nachteile durch sorgfältige Reinigung mit Chlorkalklösung ge­mindert werden können, will ich zugeben (wir wenden immer diese an, so­wohl in der Anstalt für die Wärterinnen der Kranken als am Seziertisch), aber gänzlich zu heben durch diese Vorsorge sind sie nicht. Wir kennen die Natur des Leichengiftes nicht und können nicht wissen, ob es destruiert wird durch unsere Desinfektionsmittel. Eür dies spricht jedenfalls die Erfahrung nicht, wenn wir beachten, daß weder Puerperalfieber noch Eiterungsfieber oder Spitalbrandeffluvien durch Reinigung von Zimmern und Beräucherung mit Chlordämpfen getilgt werden, wenn nicht zugleich die infizierten Räume auf lange Zeit verlassen und einem ununterbrochenen Luft­strome ausgesetzt werden. Es freut mich, zum Schlüsse hierbei mitzuteilen, daß in diesem Winter, nachdem ich das Schreiben von Herrn Dr. Stendrichs erhalten habe, die Gesundheit der Wöchnerinnen in unserer Anstalt im ganzen günstig war, so daß wir bloß einzelne Fälle von sporadischem Eieber erlebt haben. Auf 133 Geburten von November bis Februar sind zwei gestorben. Im Dezember­monate drohte die Krankheit beim Anfänge der Winterkälte epidemisch auf­zutreten, da 5 Neuentbundene innerhalb 3 Tagen heftig ergriffen wurden, aber alle wurden durch eine energische antiphlogistische Behandlung glück­lich gerettet. Seitdem ist die Witterung hier 6 Wochen lang beständig kalt gebheben und hat sich später kein Frost wieder eingestellt. Eine solche nicht oft abwechselnde Beschaffenheit der Witterung ist in unserer Gegend eine Ausnahme, besonders im Frühjahre. Im vorigen Jahre kamen von Jänner bis April 12 Sterbefälle vor, von Mai bis September kein einziger und im Oktober 2. Die Geburten waren in den letzten Monaten ziemlich gleichmäßig ver­teilt, so daß keine Überfüllung stattgefunden hat und der Wechsel der Lokale, welcher in den letzten Jahren auf meine dringende Instanz so aus­gebreitet war, daß sie in gewöhnlichen Zeiten nur zur Hälfte belegt sind, regelmäßig stattgefunden hat. Ich schließe mit dem Wunsche, daß Ihre Bemühungen im Interesse der Menschheit einen kräftigen Stoß mögen geben dem verderblichen Un­glauben an Kontagiosität dieser Krankheit und Schädlichkeit des Leichen­giftes, das noch vor kurzem seinen Vertreter gefunden hat in dem sonst so tüchtigen Kiwisch v. Rotterau, dessen Versicherung, daß er gleich nach Sektionen sowohl Kreißende als Entbundene häufig besorgte, gewiß schauder­haft klingt, gleichzeitig Unerfahrene zur verwegenen Nachlässigkeit treibend. Leider bleiben noch eine Menge schädlicher Einflüsse, welche bei der all­gemeinen Disposition der Wöchnerinnen die Krankheit hervorrufen können, außer unseren Bereich und wird also keiner dem Glauben Grund geben, als wäre bei unseren Ansichten die Ausrottung derselben eine leichte Sache.”

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