Schürer, Fritz von Waldheim dr.: Ignaz Philipp Semmelweis (Wien-Leipzig, 1905)

1846-1850. Assistent in Wien. Entdeckung der Ursachen des Kindbettfeiebers. Erfolge und Verfolgungen. Dozent. Abreisen von Wien

29 Wöchnerin wahrnehmen, die man nur mit Wahrscheinlichkeit durch ein Puer­peralfieber veranlaßt hätte ansehen können. Die nähere Deutung dieser abweichenden Erfahrungen und Ansichten dürfte vielleicht die Zukunft bieten.”*) Dank dieser — heute uns ungeheuerlich erscheinenden — Bemer­kungen des angesehensten Geburtshelfers und Begründers der Gynä­kologie in Deutschland blieben die Erfahrungen der englischen Ärzte in Deutschland nahezu gänzlich unbemerkt. Professor Tilanus in Amsterdam richtete am 9. März 1848 an Semmelweis folgenden Brief:**) „Ich rechne es mir zur Pflicht, im Interesse der Wissenschaft Ihnen meine Ansichten, auf Erfahrung gegründet, über die Ursachen des epidemischen Verhaltens der Puerperalfieber in Gebäranstalten nicht vorzuenthalten, während ich Ihre durch Dr. Stendrichs an mich gerichtete Frage beantworte. Ich habe 20 Jahre lang, welche ich Vorstand von der hiesigen Anstalt war, diese Sache aufs genaueste geprüft und keinen Anlaß gefunden, von der Meinung abzuweichen, welche hier schon lange vor mir gehegt wurde, daß die Verbreitung und An dauer dieser Krankheit unter den Wöchnerinnen, wenn solche einmal aus epidemischen atmosphärischen Verhältnissen, wozu vorzüglich die Constitutio annua im Winter und Frühjahre bei häufig ab­wechselnder Witterung gehört, hat angefangen, auf Rechnung der entschie­denen Kontagiosität zu stellen ist. Einesteils ist meine Überzeugung gegründet auf den öfters deutlich nachweisbaren Ursprung der Krankheit von einem schon während der Geburt kranken Individuum, bisweilen schon krank in die Anstalt aufgenommen, das in kurzem unterlag, und ihre Übertragung auf Gesunde, welche zugleich oder bald nachher entbunden waren und sich in der Atmosphäre der ersten Kranken befunden hatten, noch ehe die ominöse Krankheit diagnostiziert war. Anderen­teils zeigte öfter das baldige Ende der Epidemie, wenn die Geburten einige Tage an Anzahl abnahmen- oder gänzlich ausblieben, und die Kranken konnten isoliert werden, so daß ihre Pflege Personen überlassen wurde, welche sich von folgenden Geburten und von neuen Wöchnerinnen aufs genaueste enthielten. Es versteht sich, daß für solche Erfahrungen eine relativ kleine Anstalt (in der unseren kommen im Durchschnitte 400 Geburten im Jahre vor) allein geeignet ist, und das erklärt auch, wenn ich nicht irre, warum die entgegengesetzte Ansicht sich solange in großen Anstalten aufrecht erhalten hat, obgleich die Erklärung durch Mitteilung eines Kontagiums weder in Theorie noch in Analogie etwas gegen sich hat. Am auffallendsten ist doch die Analogie mit dem Eiterungsfieber und der Eiteratmosphäre, welche in mit chirurgischen Kranken belegten Sälen die frisch Verwundeten bedroht. Und eine Neuentbundene ist doch gewiß, selbst in physiologischem Zustande, eine frisch Verwundete. Was Ihre Meinung vom Leichenkontagium als Ursache der Krankheit anbelangt, so stimme ich dieser aus meiner innersten Überzeugung bei. In früheren Jahren habe ich in einzelnen Fällen diesen Ursprung so nach­gewiesen, daß ich seitdem die rigorosesten Maßregeln habe, um diesem Un­glücke vorzubeugen. *) Ätiologie, p. 430, 431. **) Ätiologie, p. 310.

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