Schürer, Fritz von Waldheim dr.: Ignaz Philipp Semmelweis (Wien-Leipzig, 1905)
1846-1850. Assistent in Wien. Entdeckung der Ursachen des Kindbettfeiebers. Erfolge und Verfolgungen. Dozent. Abreisen von Wien
27 bezeichnenderweise wurden sie überhaupt nicht beantwortet. Die erste Antwort, die mit umgehender Post eintraf, war aus dem fernen Edinburg, von Professor J. Y. Simpson, dem berühmten Geburtshelfer, dessen 50 erste Chloroformnarkosen damals gerade großes Aufsehen gemacht hatten. Simpson’s Brief war nach Semmelweis’ Aussage*) „mit Schmähungen ungefüllt”. Er habe auch ohne Arneth's Schreiben schon gewußt, in welch beklagenswertem Zustande die Geburtshilfe sich in Deutschland und namentlich in Wien befinde. Ursache der großen Sterblichkeit daselbst sei nur die grenzenlose Verwahrlosung, welcher die Wöchnerinnen ausgesetzt seien; so würden z. B. gesunde Wöchnerinnen in Betten eben Verstorbener gelegt, ohne daß auch nur das Bettzeug gewechselt würde. Arneth’s Brief beweise auch, daß die englische geburtshilfliche Literatur in Wien ganz unbekannt sei, denn sonst müßte man dort wissen, daß in England das Puerperalfieber längst für eine kontagiöse Krankheit gehalten werde, zu deren Verhütung man Chlorwaschungen anwende. Arneth und Semmelweis fühlten sich durch diesen Brief nicht veranlaßt, die Korrespondenz mit Simpson fortzusetzen. Indes, mochte auch die Form ungehörig sein und war die Annahme, daß Semmelweis nun gleich den Engländern das Puerperalfieber für eine kontagiöse Krankheit halte, eine irrige — so ganz unrecht hatte Simpson nicht. Seine Vorwürfe waren keine Schmähungen, denn sie waren begründet. Die Gebärhäuser Österreichs, Deutschlands und Frankreichs waren damals in der Tat grenzenlos verwahrlost gegenüber den englischen. Auf dem Kontinent hatte man noch keine Ahnung von dem Werte der Reinlichkeit, wie sie im Norden, in Großbritannien, auch in Holland, allgemein geübt wurde. Und die englische geburtshilfliche Literatur war zu jener Zeit wirklich in Wien, in Deutschland so gut wie unbekannt. Schuld daran trug der angesehene Gynäkologe, welcher in Canstatt’s Jahresberichten das Referat über die englische geburtshilfliche Literatur übernommen, Professor Kiwisch, der, selbst ein bahnbrechender Forscher, den einen großen Fehler hatte, Arbeiten anderer gewohnheitsmäßig zu unterschätzen. In seinen Referaten während der Jahre 1842 bis 1845 hatte Kiwisch von den auffallenden Beobachtungen der englischen Geburtshelfer Róberton, Storrs, Reedal, Sleight, Hardey, Allen, Churchill, Campbell, Elkington u. a. berichtet, welche in England ungeheueres Aufsehen erregten. Diese Ärzte hatten unmittelbar nach Sektionen und Operationen bei Geburten Beistand geleistet und alle von ihnen entbundenen Frauen waren an Puerperalfieber zugrunde gegangen. Sie enthielten sich in Zukunft der Sektionen, überwiesen Abszesse, Erysipele etc. anderen Kollegen zur Behandlung, reinigten sich gründlich, wechselten die Anzüge und hatten in ihrer geburts*) Ätiologie, p. 282.