Schürer, Fritz von Waldheim dr.: Ignaz Philipp Semmelweis (Wien-Leipzig, 1905)

1846-1850. Assistent in Wien. Entdeckung der Ursachen des Kindbettfeiebers. Erfolge und Verfolgungen. Dozent. Abreisen von Wien

22 Nacht durchwacht haben, sie erschienen ihm niemals ungelegen. So kam es, daß von allen Bekanntschaften, die Kußmaul damals in Wien machte, ihm die von Semmelweis in angenehmster und dankbarster Erinnerung geblieben ist. Nach seiner Beschreibung*) war Semmelweis „mehr als mittelgroß, breit und stark gebaut, sein Gesicht rund mit etwas vortretenden Backenknochen, seine Stirne hoch und das Kopf­haar dünn; er hatte auffallend fleischige, geschickte Hände, ein leb­haftes Temperament, große Arbeitskraft und Arbeitslust, ein warmes und gewissenhaftes Herz”. Seine große, segensreiche Entdeckung „be­schäftigte ihn fortwährend und war der Gegenstand unserer täglichen Gespräche mit dem trefflichen Manne”. An anderer Stelle nennt Kuß­maul ihn den „gemütvollen Mann”. Semmelweis’ klinischem Chef begegnete Kußmaul wiederholt im Gebärhause. „Klein machte auf uns den Eindruck eines ganz gewöhn­lichen Praktikers. Solange wir in seiner Abteilung beschäftigt waren, kam er ab und zu in den Gebärsaal, hielt sich jedoch immer nur kurze Zeit darin auf und ignorierte meinen Freund und mich völlig, vielleicht, weil er, nach der Versicherung der österreichischen Prak­tikanten, die Ausländer nicht leiden mochte. Eines Abends aber ging er sogleich, nachdem er eingetreten war, an das Bett der Gebärenden, die ich zu besorgen hatte, und fragte mich nach dem Stande der Geburt, worauf ich genaue Auskunft gab. Soweit verfuhr er nach der Ordnung, dann aber verstieß er gegen Takt und Sitte. Wollte er meine Angabe kontrollieren, so mußte er selbst nachuntersuchen oder den Assistenten Semmelweis dazu auffordern, er rief aber die Hebamme ans Bett, um nachzuprüfen. Dies wäre schon einem Studenten gegen­über unpassend gewesen, mir, einem approbierten Arzte gegenüber, war es ganz ungehörig, doch mußte ich es hinnehmen und jedenfalls zu­nächst schweigend das Weitere abwarten. Vermutlich, um ihm zu ge­fallen, erklärte die Hebamme meine richtige Angabe für unrichtig. Klein warf mir daraufhin einen strafenden Blick zu mit der Frage, was ich dazu sage? Ich erwiderte ruhig, die Hebamme irre sich, ihr Befund sei falsch, der meinige richtig. Nicht nur ich, alle anwesenden Praktikanten und Semmelweis, der hinter Klein stand und über seinen Vorgesetzten sichtlich aufgebracht war, waren gespannt, was er jetzt tun werde. Er schwieg, überlegte einen Augenblick und prüfte, wie es sich vorher geschickt hätte, selbst. Ich war meiner Sache so sicher, daß ich auch Klein, im Falle er der Hebamme zugestimmt, wider­sprochen hätte; Semmelweis kannte gleichfalls meine Fertigkeit in diesem ABC der Geburtshilfe und war entschlossen, wie er mir nachher sagte, wenn nötig, gleichfalls nachzuprüfen und für mich einzutreten. Es war jedoch nicht nötig, Klein war ehrlich, nickte mir freundlich zu und sagte: „Sie haben recht!” — Es war ihm, wie die Österreicher meinten, nur darum zu tun gewesen, den Ausländer zu demütigen. — Für die Bestrebungen seines Assistenten fühlte Klein keine Teilnahme”. *) Kußmaul, Jugenderinnerungen, 1899.

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