Schürer, Fritz von Waldheim dr.: Ignaz Philipp Semmelweis (Wien-Leipzig, 1905)

1846-1850. Assistent in Wien. Entdeckung der Ursachen des Kindbettfeiebers. Erfolge und Verfolgungen. Dozent. Abreisen von Wien

20 Am 24. Mai 1847 hatte er dem Primarius Dr. Hebra einen wich­tigen Dienst zu leisten. Dessen Gattin Johanna sah ihrer ersten Niederkunft entgegen. Schon nach Beginn der ersten Wehen eilte Semmelweis, um den besorgten Hebra zu beruhigen, nach dessen Wohnung in der Alserstraße Nr. 19, gegenüber dem Allgemeinen Krankenhause, und leistete selbst den geburtshilflichen Beistand von Anfang bis zu Ende. „A Büaberl is’ ’s!” rief er der glücklichen Mutter zu, als das Kind geboren war. Hans v. Hebra, der spätere Professor der Dermatologie, durfte sich rühmen, unter Semmelweis’ Beistand zur Welt gekommen zu sein. Das Befinden von Mutter und Kind blieb an­dauernd günstig, nicht das geringste Fieber stellte sich ein.*) Semmel­weis mußte mit peinlichster Reinlichkeit vorgegangen sein. Wie wäre die Geburt einen Monat früher verlaufen? Unter dem Beistand des ge­rade vom Seziersaal kommenden Semmelweis?! Für die Zwecke der Klinik genügten Seifenwaschungen nicht. Die Schüler, namentlich die ausländischen Ärzte, brachten viele Stunden des Tages in der Anatomie zu, und da vermochte selbst die gründlichste Waschung nicht, den Leichengeruch von den Händen zu bannen. Um dies rasch zu erreichen, mußte man trachten, die an der Hand klebenden Kadaverteile chemisch zu zerstören. Ende Mai 1847**) erprobte Semmelweis Chlorina liquida, und siehe da, es beseitigte den Leichengeruch gänzlich! Mit Zustimmung des Professors ordnete er nun an, daß ein jeder Arzt, der die Klinik betrat, seine Hände in dem aufgestellten Chlorbecken zu reinigen hatte. An welchem Tage er diese bedeutungsvolle Anordnung traf — es war der Geburtstag der Antisepsis — konnte er später nicht mehr angeben. Berauscht von den erlösenden Gedanken, die sein Ge­hirn durchtobten, flössen ihm die Tage dahin wie im Traume. Jede Stunde, jede Minute brachte ihn vorwärts in der Erkenntnis, den Wechsel von Tag und Nacht bemerkte er nicht. Professor Klein hielt nichts von Semmelweis’ Reformideen, aber er ließ ihn gewähren, teils weil er mußte, denn er konnte nicht das Odium der Leicheninfektion seiner Wöchnerinnen auf sich nehmen, teils aus Bequemlichkeit, denn um die Klinik kümmerte er sich nur so­weit, als er „Fälle” brauchte für die Vorlesung. Der eigentliche Leiter der Klinik war der Assistent. So konnte dieser sein neues Desinfektions­verfahren energisch durchführen. Schüler und Wärterinnen wurden zu größter Reinlichkeit angehalten, und Semmelweis sah mit nie ermüden­dem Eifer, mit unerbittlicher Strenge darauf, daß seine Anordnungen genau befolgt wurden. Der Erfolg der Desinfektionen war überraschend! Von über 18% im April sank die Sterblichkeit im Mai, gegen dessen Ende erst die Chlorwaschungen begonnen wurden, auf 12‘24, im Juni schon auf 2'38, im Juli auf 1‘20% herab! Wer war seliger als Semmelweis! *) Mündliche Mitteilungen der Hofratswitwe Johanna v. Hebra. **) Nicht Mitte Mai, wie Semmelweis später glaubte. Bei der Geburt Hans Heb ras wendete er Chlorlösung noch nicht an. Skoda gab in seinem Vortrage im Herbst 1849 richtig an: Ende Mai 1847.

Next

/
Oldalképek
Tartalom