Schürer, Fritz von Waldheim dr.: Ignaz Philipp Semmelweis (Wien-Leipzig, 1905)
1846-1850. Assistent in Wien. Entdeckung der Ursachen des Kindbettfeiebers. Erfolge und Verfolgungen. Dozent. Abreisen von Wien
17 nach dem sonnigen Süden, nach der alten Lagunenstadt. Dort begeisterte er sich an den herrlichen Kunstschätzen. Gekräftigt, wie neu geboren durch die Fülle neuer Eindrücke, kehrte er schon am 20. März wieder zurück nach Wien, und nur wenige Stunden nach seiner Ankunft übernahm er sein ernstes Amt auf der Klinik. Das Erste, was er erfuhr, war eine traurige Nachricht. Dr. Jakob Kolletschka, o. ö. Professor der Staatsarzneiwissenschaft an der Wiener Hochschule, mit dem Semmelweis gelegentlich seiner anatomischen Studien im pathologischen Institute bekannt geworden, war, 13 Jahre alt, am 13. März*) an Leichenvergiftung gestorben. Während einer Sektion hatte ihn ein Mediziner mit dem Skalpell in den Finger gestochen, und die kleine Verletzung hatte genügt, eine Blutvergiftung herbeizuführen, welcher der Bedauernswerte binnen wenigen Tagen erlag. Semmelweis war von diesem Todesfälle tief erschüttert, denn er verehrte in ihm den tüchtigen Gelehrten, wie seinen Gönner und Freund. Mit verjüngten Kräften ging Semmelweis wieder an die altgewohnte Arbeit. Er nahm seine allmorgendlichen gynäkologischen Studien in der Totenkammer wieder auf und widmete seine übrige Zeit völlig der Klinik und dem Studium des Puerperalfiebers. Die gehobene Stimmung, in der er von Venedig zurückgekehrt, war freilich schnell verflogen. Zuerst die Nachricht von Kolletschka’s Tode, dann wieder das Umsichgreifen des Kindbettfiebers auf seiner Klinik! Unter Breit war, wie erwähnt, die Sterblichkeit im Februar auf 1-92% gesunken. Bereits im März, in dessen letzten 10 Tagen Semmelweis wieder als Assistent fungierte, war sie auf 3’60% gestiegen und erreichte im April gar die schreckliche Höhe von 18 27%! Es war zum Verzweifeln! Schien es doch, als wenn sich das Unglück just an seine Fersen heftete! Um diese Zeit — es mag anfangs oder Mitte Mai gewesen sein — fesselte ihn plötzlich der Befund, welchen die Sektion der Leiche Kolletschka’s ergeben hatte. Er mochte schon damals bei seiner Rückkehr von der Sektion gehört, doch als trauernder Schüler und Freund auf die genaueren Details gerne verzichtet haben. Irgend ein Zufall, vielleicht ein Gespräch mit Kollegen, brachte ihn nach Ablauf eines Monates wieder auf diesen Sektionsbefund, und was er da vernahm, überraschte ihn außerordentlich. Die Sektion hatte ergeben: Lymphangoitis und Phlebitis der erkrankten oberen Extremität, beiderseitige Pleuritis, Pericarditis, Peritonitis, Meningitis und eine Metastase in einem Auge. Als Semmelweis von diesem Sektionsbefunde hörte, durchzuckte sein Hirn der Gedanke: Der gleiche Befund wie bei den Puerperalleichen! Wie? Führt die Infektion mit Leichengift zu derselben Krankheit, an der so viele hundert Wöchnerinnen und Kinder sterben? *) Nach der Verstorbenenliste der „Wiener Zeitung” (1847, I, p. 618). v. Waldheim, Ignaz Philipp Semmelweis. 2