Schürer, Fritz von Waldheim dr.: Ignaz Philipp Semmelweis (Wien-Leipzig, 1905)

1846-1850. Assistent in Wien. Entdeckung der Ursachen des Kindbettfeiebers. Erfolge und Verfolgungen. Dozent. Abreisen von Wien

16 sich empörend genug war. Der frühere Assistent Dr. Breit hatte nachträglich um eine zweijährige Dienstesverlängerung angesucht, Professor Klein befürwortete sein Gesuch, und so geschah das Un­erhörte: der „ordentliche” Assistent Semmelweis wurde wieder auf 2 Jahre zum provisorischen degradiert und Dr. Breit am 20. Oktober wieder als „ordentlicher” eingesetzt. Man wird wohl nicht fehlgehen, wenn man aus dieser skandalösen Geschichte den Schluß zieht, daß Professor Klein schon damals Semmelweis nicht mehr leiden mochte und froh war, ihn loszubekommen. So war denn mit den vier Monaten Juli, August, September und Oktober 1846 Semmelweis’ erste Dien&zeit zu Ende. Zwei Jahre Wartezeit hatte er wieder vor sich. Wie sie nützlich verwenden? Er faßte den Entschluß, eine Studienreise nach England zu unternehmen. Dort stand die Geburtshilfe auf hoher Stufe und hatte eine Reihe aus­gezeichneter Vertreter. In den Gebärhäusern richtete das Kindbett­fieber bei weitem nicht solche Verheerungen an wie auf dem Kontinent, und was die theoretische Auffassung dieser Krankheit anbelangt, so huldigte man im allgemeinen der Anschauung, das Kindbettfieber sei eine kontagiöse Krankheit, von einem Individuum auf das andere übertragbar. Von dem Wunsche beseelt, den Ursachen der furchtbaren Seuche endlich auf die Spur zu kommen, wollte er die Hospitäler in England, Irland und Schottland persönlich kennen lernen, um zu er­fahren, welchen günstigen Umständen die geringe Sterblichkeit daselbst zugeschrieben werden könnte. Er begann also ernstlich englisch zu lernen und reichte beim medizinischen Dekanat um Bewilligung eines Reisebeitrages ein.*) Im November 1846 trat wieder eine behördliche Kommission zu­sammen, um dem Sterben auf der I. geburtshilflichen Klinik Einhalt zu tun, und diesmal gewann die Ansicht die Oberhand, daß die vielen Erkrankungen bedingt seien durch rohes Untersuchen von Seiten der Studierenden und Ärzte, namentlich der Ausländer. Die Zahl der Praktikanten wurde von 42 auf 20 herabgesetzt, Ausländer fast ganz ausgeschlossen und die vaginalen Untersuchungen bedeutend ein­geschränkt. Der Erfolg war überraschend. Die Sterblichkeit sank von 10‘77°/o im November auf 5’37% im Dezember, 3-21% im Jänner 1847, l’92°/0 im Februar! Zu Ende dieses Monates wurde Dr. Breit zum Professor der Geburtshilfe an der Hochschule in Tübingen ernannt und sollte sein neues Amt mit Beginn des Sommersemesters, Ende März, übernehmen. Damit war der Plan der Englandreise zu Wasser geworden. Um aber mit frischen Kräften seine neue Dienstzeit zu beginnen, entschloß sich Semmelweis rasch zu einer Reise nach Venedig. Vom Dekanat der medizinischen Fakultät erhielt er die Reisebewilligung und einen Reise­beitrag,**) und am 2. März 1847 ging es in Gesellschaft zweier Freunde *) Nach den Akten des medizinischen Dekanates der Universität Wien. **) Dekanatsakten.

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