Inventare Teil 5. Band 6. Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (1938)

Die Klosterarchive von Walther Latzke

492 Die Klosterarchive. rich II. überließ sie seinem Bruder Bischof Konrad von Passau. Erst 1241 kam die Vogtei als passauisches Lehen neuerlich an die Babenberger, nach ihrem Aussterben an Ottokar II. und 1278 an die Habsburger. Langwierige Streitigkeiten zwischen dem Stift und den Bischöfen von Passau über ver­schiedene Rechte und Besitzungen auf dem Boden der Stadt St. Pölten fanden erst durch den Ausgleich von 1365 ihr Ende. Damals wurde der Stiftsbesitz innerhalb der Stadt auf das Klosterviertel beschränkt, alle anderen Besitzungen und Rechte, vor allem das wichtige Marktrecht, fielen dem Bischof zu; das Stift bekam dafür eine Reihe von Gülten und Zehenten in der Umgebung von St. Pölten.1 Mit diesem Ausgleich erhielt das Stift wesentlich die rechtliche und wirtschaftliche Stellung, die es bis zu seiner Aufhebung bewahrt hat. Freilich bietet seine fernere Geschichte ein wech­selvolles Auf und Ab von Aufstieg und Niedergang. Schwere disziplinäre und wirtschaftliche Verfallserscheinungen im 16. Jahrhundert brachten das Stift 1565 der Aufhebung nahe, 1581 wurde der Propst Melchior Schad vom Klosterrat wegen Mißwirtschaft suspendiert; vier Jahre lang führte ein Administrator die Verwaltung. Das 17. Jahrhundert brachte unter bedeu­tenden Pröpsten (Johann Fünfleutner, Gabriel Kölsch, Patriz Zeller) eine neue Blütezeit; der Türkensturm von 1683 aber vernichtete den wirtschaft­lichen Wohlstand aufs neue. Die Pröpste Christoph Müller (1688—1715) und Johann Michael Führer (1715—1739) entfalteten eine rege Bautätig­keit, stürzten aber durch ihre Prachtliebe das Stift in tiefste Schulden; 1739 setzte die niederösterreichische Regierung den Propst ab, sechzehn Jahre lang stand St. Pölten unter Zwangsverwaltung. Ein neuer Auf­schwung, der mit Propst Matthias Alteneder einsetzte, wurde durch die Aufhebung des Stiftes jäh unterbrochen. Nach einem Dekret der nieder­österreichischen Regierung vom 11. April 1784 sollte der Propst von St. Pölten Administrator der Güter des Bistums Wiener-Neustadt werden und aus einem Teile der Neustädter Domherren und mehreren seiner Chorherren ein Kollegiatkapitel bilden; der Bischof von Wiener-Neustadt aber sollte seinen Sitz nach St. Pölten verlegen, ein Teil seiner Domherren und die restlichen St. Pöltener Chorherren das neue St. Pöltener Domkapitel dar­stellen. Aber eine kaiserliche Resolution vom 14. Juni 1784 verfügte die völlige Übersetzung des Neustädter Domkapitels nach St. Pölten und die Aufhebung des Chorherrenstiftes; am 16. Juli 1784 wurde die Aufhebung vollzogen. Die Stiftsgüter bildeten zunächst eine bischöfliche Dotations­herrschaft; 1802 aber übernahm sie, mit Ausnahme des Gutes Ochsenburg, die Staatsgüteradministration für den Religionsfond in Verwaltung.1 2 Über das Archiv (Urkunden und Kopialbücher) des St. Pöltener Augu­stiner-Chorherrenstiftes hat Josef L a m p e 1 in der Einleitung zu Band 1 und 2 seines „Urkundenbuchs des aufgehobenen Chorherrenstiftes Sanct Pölten“ (Niederösterreichisches Urkundenbuch, Bd. I und II) eine sehr ein­gehende Darstellung gegeben, die sich zwar durch Genauigkeit auszeich­1 Herrmann, S. 72 f. — Lampel, Niederösterr. Urkundenbuch I, Nr. 501, 507, 573. 2 Fräst, VII, S. 221 ff. — Anton Kerschbaumer, Geschichte des Bistums St. Pölten I, S. 621—624.

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