Inventare Teil 5. Band 4. Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (1936)

Einleitung

178* Einleitung. war Österreich der Möglichkeit beraubt worden, wie jeder andere souveräne Staat zu verhüten, daß aus seinen eigenen Archiven das Staatswohl schä­digende Veröffentlichungen hervorgingen. Auch der Rücksicht auf fremde Staaten, die früher so sorgfältig geübt wurde,1 wurde Österreich durch diese Umstände entbunden. So ist eine Zensur der Archivbestände aus der Zeit der Monarchie zwecklos geworden. Selbstverständlich muß die Archivleitung aber auch jede Verantwor­tung für die Veröffentlichungen ablehnen, in denen Archivalien des StA. verwertet werden. Um gewissen üblen Erscheinungen, welche die vollstän­dige Benützungsfreiheit zeitigte, zu begegnen,1 2 wurden in die geltende Dienstordnung vorbeugende Bestimmungen aufgenommen.3 Bei den ganz anders gearteten Verhältnissen der Vorkriegszeit war die Gewährung einer derart schrankenlosen Benützungsfreiheit nicht möglich. Es fiel den mit der Vorbereitung und Überprüfung betrauten Archiv­beamten eine recht schwierige Aufgabe zu und es ist zu verstehen, daß einer von ihnen (Fiedler) gelegentlich in den Stoßseufzer ausbrach, er sei „in ein Meer von Zweifeln und in Furcht vor Mißgriffen“ geraten und habe das Gefühl „auf einer sehr gefährlichen See ohne eigentlichen Com- paß zu schiffen“. Wir sehen, daß oft genaue Aufzeichnungen über die Vorprüfung gemacht wurden mit ausführlichen schriftlichen Begründungen, die heute natürlich für die Beurteilung der davon betroffenen Werke von großer Bedeutung sind. Genaue Richtlinien, was im Einzelnen auszuscheiden war, bestanden nicht und konnten auch der Natur der Sache nach, wie man zugeben muß, nicht erlassen werden. Das Wesentliche war eigentlich schon in Punkt 3 der Benützungsordnung von 1818 (oben S. 167*) gesagt. Alle seither erlas­senen Vorschriften 4 brachten keine genaueren Anweisungen. Eine gewisse Entlastung bestand darin, daß man bei den Reichsarchiven in der Regel von einer Zensur absah und diese bei anderen Beständen zuletzt nur für die Zeit nach 1740 handhabte. Die Aufgabe der mit der Überprüfung betrauten Beamten wurde noch dadurch — wohl überflüssigerweise — erschwert, daß sie die Tatsache der Überprüfung vor den Forschern geheimzuhalten hatten. Dies war wenig­stens seit 1841 der Fall, während man früher die Tatsache der Überprüfung zugab. Die Leidtragenden dieser Geheimhaltung sind, so schrieb 1915 Schiitter, „die Beamten, die in der Öffentlichkeit als bezahlte Nichtstuer erscheinen, die bescheidensten Wünsche der gelehrten Forschung nur ungenügend und über Gebühr langsam erfüllen und, was Repertorisierungs- arbeiten sowohl wie wissenschaftliche Publikationen betrifft, nicht das 1 Die mit der Zensur betrauten Beamten hatten dies besonders zu beachten. Vgl. außerdem: Österreich-Ungarns Außenpolitik, VII. Band, S. 948, Nr. 9458. 2 Ich verweise hier auf die ausführliche Darstellung in meinem Aufsatz: Das StA. in der Nachkriegszeit, S. 177—181. 3 Oben S. 79*: Rechtsverbindliche Erklärung, Punkt 22. 4 Erlässe der Staatskanzlei und des Min. d. Äuß. von 1840, 1841, 1849, 1850, der nicht in Kraft gesetzte Entwurf einer Benützungsordnung vom 14. April 1863, Erlässe von 1867, 1868, 1908, 1910 u. a.

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