Inventare Teil 5. Band 4. Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (1936)

Reichsarchive von Lothar Gross

278 Reichsarchive. wollten. Erst in den letzten Tagen vor und unmittelbar nach dem am 14. Okt. 1809 erfolgten Friedensschlüsse ließ der französische Polizeiminister Bacher Hand an diese Archive legen. Am 9. Oktober erzwang Bacher die Öffnung des StA. und am 17. wurde mit dem Verpacken und dem Ab­transport der Reichsarchivalien begonnen, welche Arbeit bis zum 28. dauerte. Die Versuche des Archivoffizials Adam Emmert, der im Gegensatz zu dem ebenfalls in Wien zurückgebliebenen kranken Hausarchivar Franz Sebastian Gassier ein unerschrockenes Verhalten an den Tag legte, die Franzosen an der Durchführung des Abtransportes zu hindern, blieben so gut wie erfolglos. Das gleiche Schicksal erlitten auch die von der reichshof- rätlichen Aktenkommission verwalteten Archivalien, die ebenfalls in den Tagen vom 14. bis 16. Oktober beschlagnahmt und weggeführt wurden. Auch hier blieben die Versuche des präsidierenden Rates der Kommission, Kon­rad Freiherrn von Pufendorf, das Unheil abzuwenden und den in Wien weilenden österreichischen Bevollmächtigten Fürsten Johann von Liechten­stein zum Eingreifen zu bewegen, vergeblich. So wanderten die Reichs­archive ebenso wie das alte Archiv der Staatskanzlei nach Paris.1 Über die Behandlung der Archive in Paris ist uns so gut wie nichts bekannt. Wir wissen nur aus einem Berichte1 2 des 1815 zum Rücktransport der Reichshofratsakten nach Paris entsandten Registranten Winterheld, daß sämtliche Registraturen durch die eigens von Napoleon zu ihrer Bearbei­tung angestellten Beamten in große Verwirrung und Unordnung gebracht wurden und daß eine ziemliche Aktenpartie infolge weit fortgeschrittener Vermoderung nicht mehr zurückgebracht werden konnte. Beim Abtrans­port im Jahre 1809 waren nämlich 20 Kisten bei Passau in die Donau gestürzt und ihr Inhalt hatte schweren Schaden genommen. Über sonstige Verluste können wir nichts mit Sicherheit sagen. Andreas Meiller behaup­tete gelegentlich einmal, daß die Romana durch die Verschleppung nach Paris Verluste erlitten hätten. Klarheit könnte hier nur eine eingehende Untersuchung der großen Pariser Archive bringen. Nachdem der erste Pariser Frieden im Art. 31 ausdrücklich die Rückgabe der entführten Archive festgesetzt hatte, gelangten im Laufe des Jahres 1815 auch die Reichsarchivalien nach Wien zurück. Auf französischer Seite hatte man der Auslieferung noch mancherlei Schwierigkeiten in den Weg gelegt mit der Begründung, daß das römisch-deutsche Reich zu bestehen aufgehört 1 Vgl. über die ganzen Vorgänge die Berichte Emmerta, Pufendorfa und Gaaalera im Archiy-Regiatr.-Akt 12/1809 u. in StK. Archiv Fasz. 1, Konv. 1. Mai 1809 bia 7. Jan. 1810, ferner H. Schiitter, Die Zurückstellung der von den Franzosen im Jahre 1809 aua Wien entführten Archive, Bibliotheken und Kunatsammlungen, in Mitteilungen d. Inst. f. öaterr. Geschichtsforschung 22, S. 112 f. Gemäß dem am 22. November 1809 nach Abzug der Franzosen aufgenommenen, 1867 aufgefundenen Protokoll blieb daa Erdgeschoß, das hauptsächlich die Urkunden enthielt und wohl zum großen Teil geflüchtet worden war [die Zimmer I (H), II (J) und III (K); vgl. oben Einleitung], unversehrt, weil die Plünderer die eisernen Türen nicht öffnen konnten. Auch in den Zimmern III (C) (das damalige Direktionszimmer), IV (D), V (Arbeitszimmer der Beamten) und VI (G) wurde nichts ge­raubt. Gänzlich ausgeleert wurden hingegen die Zimmer I (A) und II (B), welche die Reichskanzleibestände enthielten, und VII (F), in welchem die Handschriften aufbewahrt waren, von denen aber ein großer Teil geflüchtet worden war. 2 Bericht vom 7. Okt. 1815 in Reichshofrätl. Hofkommission Fasz. 40.

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