Inventare Teil 5. Band 4. Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (1936)
Reichsarchive von Lothar Gross
Reichshofrat und Reichshofkanzlei. Um bei den einzelnen Abteilungen des Reichshofrates und der Reichshofkanzlei unnötige Wiederholungen zu vermeiden, sollen in den folgenden Ausführungen die gemeinsamen Schicksale in der Geschichte dieser Bestände kurz zusammengefaßt werden. Nachdem Kaiser Franz II. am 6. August 1806 die deutsche Kaiserkrone niedergelegt hatte, ergab sich die Notwendigkeit, für die umfangreichen Registraturen der Reichshofkanzlei die entsprechenden Vorsorgen zu treffen. Der Kaiser hatte schon in seinem vom 7. August datierten Handbillett an den letzten Reichsvizekanzler Fürsten Franz Colloredo-Manns- feld, in dem er diesem von der Niederlegung der Kaiserkrone Kenntnis gab, erklärt, daß sein Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Philipp Graf Stadion, sich mit dem Reichsvizekanzler wegen der Akten der Reichshofkanzlei ins Einvernehmen setzen werde, und Graf Stadion hatte den Fürsten Colloredo aufgefordert, seine Vorschläge zu erstatten.1 Aml.Sept. 1806 machte Colloredo in einer Note an die Staatskanzlei eingehende Vorschläge,1 2 nachdem schon am 18. August der Reichshofratspräsident Graf Philipp von Öttingen-Wallerstein, dem ein analoges kaiserliches Handschreiben zugekommen war, hinsichtlich der Akten der Judizial- registratur und der anderen in den Wirkungskreis des Reichshofrates gehörigen Akten die Notwendigkeit und Verpflichtung ihrer entsprechenden Verwaltung zur Wahrung der Rechte und Ansprüche der an ihnen interessierten ehemaligen Reichsstände und aller sonstigen Glieder des Reiches betont hatte.3 Die vom Reichsreferendar Peter Anton Freiherrn von Frank verfaßten Vorschläge sahen je nach dem Wesen und Inhalt der Registraturen eine verschiedene Behandlung derselben vor: die politischen Akten, die Registratura actorum publicorum und das Archiv der Reichshofkanzlei (was unter letzterem zu verstehen ist, wird noch des näheren auszuführen sein) sollten mit dem Hausarchive vereinigt werden, ohne jedoch mit dessen Beständen vermischt zu werden, oder zumindest unter die Aufsicht und Sperre des Hausarchivars oder eines Beamten der Staatskanzlei gestellt werden, während die Judizialakten sowie die Gratial- und Lehensakten, die infolge ihrer großen praktischen Bedeutung in den verschiedensten Rechtsfragen noch weiterhin sehr oft benötigt werden würden, an ihrem bisherigen Aufbewahrungsort im Reichskanzleigebäude4 verbleiben und von einer zu ihrer Verwaltung einzusetzenden Kommission, wie dies auch bereits in der erwähnten Note Öttingens angedeutet worden war, ver1 Reichskanzlei Verf.-Akten Fasz. 65. 2 Ebenda. 3 Reichshofrätl. Hofkommission Fasz. 39. 4 Moriz Dreger, Baugeschichte der k. k. Hofburg, S. 214, Abbildung 227. 18*