Inventare Teil 5. Band 4. Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (1936)
Einleitung
Erster Abschnitt. § 1. 43* kommen mit Italien bringt auch einen Gedanken zum Ausdruck, der von den italienischen Archivaren schon in den ersten Jahren der Nachkriegszeit vertreten wurde, daß nämlich die Erhaltung organisch erwachsener Archivbestände im allgemeinen Kulturinteresse liegt.1 Die Zusammenarbeit mit den ungarischen Kollegen gehört zu den erfreulichsten Erscheinungen der Nachkriegszeit.1 2 Wenn sich die Entwicklung weiter in dieser Richtung bewegt, so wird man bald im Sinne des Art. 19 des Völkerbundpaktes von den harten Archivverträgen als von „unanwendbar gewordenen Verträgen“ sprechen, die mit dem Geist der vom Völkerbund in der Genfer Commission de coopération intellectuelle und im Pariser Institut international de coopé- ration intellectuelle3 sowie in der Archivkommission des Comité International des sciences historiques4 organisierten internationalen Zusammenarbeit schwer vereinbar sind. Das StA. erlitt durch diese Archivverträge eine erhebliche Einbuße seines Besitzstandes,5 was um so schmerzlicher ist, als es bei genauer Einhaltung der Bestimmungen des Friedensvertrages keine nennenswerten Verluste gehabt hätte. Der im Prager Abkommen und seinen Filiationen stillschweigend erfolgte Verzicht auf die in Art. 195 des Friedensvertrages vorgesehene Entscheidung eines Juristenkomitees6 brachte den Verlust der alten, in den abgetretenen Gebieten entstandenen Archive vorhabsburgischer staatlicher Gewalten wie der Archive der böhmischen Könige und der Bistümer Trient und Brixen sowie der aufgehobenen Klöster u. a.7 Die im Friedensvertrag überhaupt nicht vorgesehene Verpflichtung des Prager Abkommens zur Abgabe der die abgetretenen Länder betreffenden Archivalien der Wiener k. k. österreichischen Zentralbehörden von 1888—1918 hätte das StA. nicht berührt, denn es besaß solche Archivalien nicht. Mangels irgendeines Rückhaltes mußte sich aber das StA. lange Jahre hindurch den im Prager Abkommen nicht begründeten Forderungen der tschechoslowakischen Delegierten8 nach Abgabe gleichartiger Archivalien der Registra1 Vgl. das Abkommen vom 26. Mai 1919 (Bericht über die Tätigkeit der ■deutschösterreichischen Friedensdelegation zu St. Germain en Laye, 379 der Beilagen II 218) und den von hoher Auffassung des archivalischen Berufes getragenen Discorso dei Senatore Francesco Salata, Per gli Archivi di Stato, Rom 1930. 2 Vgl. L. Bittner, Árpád von Károlyi als Archivar, a. a. 0. 37, 38. 3 Vgl. unten 5. Abschnitt § 6 und H. 0. Meisner, Internationale Archivorganisationen in: Archival. Zeitschr. 40, S. 282—292, ferner die Schrift: L’année 1934 de la coopération intellectuelle (Institut international de Coopération intellectuelle), Paris 1935, S. 106; desgleichen L’année 1935, Paris 1936, S. 69; Kleines Handbuch des Völkerbundes, Genf 1935, S. 189—191. * M. Lheritier, L’activité du Comité International des Sciences historiques in: Bulletin du Com. Intern, des Sciences historiques 16. Heft, Washington 1932, S. 390. 5 Vgl. oben S. 36*. Archival. Zeitschr. 35. Bd., S. 156—163. 6 Hinsichtlich der Kunstsammlungen, deren Wert handgreiflicher in Erscheinung trat, leistete die damalige österr. Regierung einen solchen Verzicht nicht. Tatsächlich endete das Verfahren über Kunstsammlungen vor dem Juristenkomitee in zwei Fällen erfolgreich für Österreich. 7 Die einzelnen Verluste sind in den in Betracht kommenden Abteilungen des •Gesamtinventars vermerkt. Siehe auch oben S. 21* Anm. 3. 8 Punkt A des Prager Abkommens spricht nur von österr. Behörden, nicht von österr.-ungar.