J. K. Mayr: Inventare Teil 5. Band 3. Metternichs geheimer Briefdienst. Postlogen und Postkurse (1935)

I. Die Postlogen - 1. Organisation

statt der älteren Wachssiegel Oblaten oder Siegellacke. Erstere wurden selten verwendet und mittels der beinernen Messer insgeheim geöffnet. Bei Siegel­briefen, die die Regel bildeten und den Zwangsbestimmungen der österrei­chischen Briefpostordnung von 1838 entsprachen, wurde der Aufdruck des Siegelstempels mit Hilfe der erwähnten, jeweils in kleinen Mengen besonders zurechtgemachten, in einen Ring eingegossenen, halbweichen, an der Leuchter­flamme rasch erhärtenden Metallpaste (Silberamalgam) abgeformt — ein Ver­fahren, das ähnlich schon unter Ludwig XIV. in Frankreich angewendet wor­den ist6). Mit Hilfe der rauchlosen Kerzchen wurde dann das Siegellack „mit unruhiger Hand“ so lange erwärmt, bis es auseinandergezogen und der Brief geöffnet und gelesen werden konnte. Dann wurde dieser wieder zu­sammengefaltet und das Siegellack neuerdings soweit erwärmt, daß darauf mit Hilfe des flüchtig hergestellten Siegelstempels ein neuer Siegelabdruck angebracht werden konnte7). Beim Erwärmen des Siegellacks dürften wohl zur Schonung des Briefpapiers gelochte Schutzplatten verwendet worden sein, wie sich deren auf dem Wiener Kongreß ein spanischer Legationssekretär bedient hat8). In Frankreich weichte man das Siegellack mit heißen Wasser­dämpfen auf9), Hofrat Gentz „operierte“ während des Wiener Kongresses mit Lehm oder Ton und einem Kohlenofen zum Trocknen der Siegelstempel, ebenso die Linzer Postloge (1813) und Bellio, der walachische Agent in Wien, der sich hiezu auch weißen Wachses bediente, das erwärmt und in kaltem Wasser erhärtet wurde10). Einen lehrreichen Einblick in die Geheimwissenschaft der Brieferöffnung verdanken wir dem ungenannten Verfasser der 1797 in Lübeck und Leipzig aufgelegten, „Wie sichert man sich vor Brieferbrechung und deren Verfäl­schung?“ betitelten Schrift11), in dem man wohl einen entlassenen Logisten vermuten darf. Er kennt drei Arten der heimlichen Brieferöffnung: durch Aufschneiden, Ablösen des Siegels (mittels eines feinen erwärmten Messers oder eines erhitzten, in eine Gabel gespannten dünnen Klaviersaitendrahtes) oder — wie in Österreich — durch Abformen des Siegels. Letzteres konnte durch Blei, eine in siedendem Wasser schmelzende Mischung von Zinn, Blei und Wismut, ein Quecksilberamalgam oder durch Gips erfolgen. Das Blei und das Quecksilberamalgam erhielten den Siegelabdruck durch Aufschlagen, bzw. Aufpressen, das leichtflüssige Metall und der Gipsbrei wurden entweder unmittelbar in eine um das Briefsiegel gelegte Tonform gegossen oder zu­nächst in eine Stempelform eingelassen, mit der nach entsprechender Ver­dickung des Kernes ein Abdruck des Briefsiegels hergestellt wurde. Für häufiger vorkommende Siegel — etwa die der Briefe Mazzinis — wurden zur Erleichterung der Manipulation eigene Metallsiegelstempel nach­gestochen 12). Die Wiener Geheime Ziffernkanzlei verwahrte sie, nach Natio­6) E. König, Schwarze Kabinette (1. Aufl.) 19 ff. 7) Dr. Wolf an Mett. 10 XI 8 Vorträge 276; Schreiben Eichenfelds 13 I 2 Noten­wechsel m. d. Kabinett 1; Bericht Cobellis 52 X 5. s) A.Fournier, Geheimpolizei 6, Anm. 2. 9) H. Stephan, Gesch. d. preuß. Post 343 Anm. 10) A. Fournier, Gentz und Bellio (Deutsche Revue 1912) 325. u) Ein Exemplar im Berliner Reichspostmuseum (Archiv f. Post u. Telegr. 1884 S. 724 ff.), ein weiteres in der Wiener Universitätsbibliothek. “) Dr. Wolf an Mett. (Anm. 7 oben); E. Castle, Tagebuch Löwenthals (Hist. Blätter 3) 496 f.; Bericht Cobellis 52 X j 1. c. 5

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