J. K. Mayr: Inventare Teil 5. Band 2. Geschichte der österreichischen Staatskanzlei im Zeitalter des Fürsten Metternich (1935)
I. Das Gebäude der Staatskanzlei
dünkten ihm schön über alle Begriffe, wenn die Mittagssonne durch die Fenster schien. Die herrlichsten Blumen aus den fürstlichen Glashäusern schmückten sie. In offenen Mahagonischränken barg die fürstliche Privat- bibliothek über 20.000 Bände. Eine Venusstatue Canovas beherrschte den Raum, „nach vornehin von der skrupulösesten Dezenz, was man von der rückwärtigen Seite nicht eben sagen konnte“. In diesem Zimmer versammelten sich die Minister des Wiener Kongresses, in ihm haben sie am Abend des 19. Juni i8ij die Kongreßakte unterzeichnet2). Hier pflegte sich später die Fürstin Melanie, Metternichs dritte Gemahlin, aufzuhalten, wenn sie ihn vor unerwünschten Besuchen bewahren wollte. In diesem und in dem anstoßenden Zimmer — in dem späteren Audienzwarteraum — hat sich Metternich am 14. März 1848 von seinen Beamten verabschiedet3). Drei große Schreibtische standen in seinem Arbeitszimmer, voll von erlesenen Kunstwerken und wissenschaftlichen Instrumenten. Hier stand wohl auch das Fernrohr, durch das Metternich und Gentz den gestirnten Himmel zu beobachten pflegten 4 5 6). Auf dem Tische des Schlafzimmers lagen Kupferstiche, Landkarten und Zeichnungen. Und überall standen auf Staffeleien stets neue Gemälde, die die Künstler hier zur Ausstellung brachten und die den Gemächern des Fürsten den Eindruck eines Kaufladens verliehen. Gerne ergötzte sich dieser an dem Erstaunen seiner Besucher, wenn sie unverhofft in diese „abwechselnde Fülle der Umgebung“ kamen. In diesen weiten Räumen, die uns z. T. im Bilde überliefert sind B), fühlte sich Metternich wohl. Kleine Zimmer waren ihm verhaßt: „im engen Raum schrumpft der Geist zusammen, die Gedanken verschließen sich und sogar das Herz welkt ab“ ®). Im dritten Stockwerke wohnten die Kinder des Fürsten, zwanzig Jahre lang auch sein Bruder Josef, ein stadtbekannter Sonderling, außerdem der Haushofmeister und der Stallmeister sowie die Dienerschaft des Fürsten. Hier befand sich auch die Metternichsche Hauskanzlei mit ihrer Registratur, Staatskanzleikasse und Haus-, Hof- und Staatsarchiv hingegen lagen außerhalb des Staatskanzleigebäudes. In der Hauskapelle wurde an Sonn- und Feiertagen Messe gelesen. Zunächst von fallweise herangezogenen Weltpriestern, dann fast dreißig Jahre lang von beamteten Kanzleikaplänen, an deren Stelle 1828 Messeleser aus dem Wiener Franziskanerkloster traten. Der erste Kanzleikaplan der Metternichzeit war der Florentiner Joachim L a n d i, der 1809 als Feldkurat in den Militärspitälern und 1814 als italienischer Sprachlehrer Maria Louisens tätig gewesen war. 1823 trat Georg Pomaroli an Landis Stelle. Er stammte aus der Brixener Diözese, hatte beim freiwilligen Tiroler Jägerkorps in Italien als Feldkaplan gedient und in Innsbruck, Purkersdorf und Währing als Kooperator und Pfarrer gewirkt. Landi und Pomaroli bezogen 2) J. Krauter, Franz Frh. v. Ottenfels 34; F. Witt ich e n, Briefe von und an Gentz 3/1, 305 f. 3) A. v. Arneth, Aus meinem Leben 1, 295 f. 4) L. A s s i n g, Tagebücher von Friedrich von Gentz 2, 469. 5) Reproduktionen bei E. L e i s c h i n g, Der Wiener Kongreß und bei FI. v. S r b i k, Metternich 2, 81. 6) Aus Metternichs nachgelassenen Papieren 3, 317 ff.; O. Brandt, Metternichs Denkwürdigkeiten 2, 112, 139; F. Kr ones, Aus Österreichs stillen und bewegten Tagen 130; H. v. S r b i k 1. c. i, 273 f. 8