J. K. Mayr: Inventare Teil 5. Band 2. Geschichte der österreichischen Staatskanzlei im Zeitalter des Fürsten Metternich (1935)

III. Die Organisation der Staatskanzlei - 3. Sonderreferate

die in das staatsrechtliche Fach oder in das der Politik einschlugen 206). Was ausschließlich oder zum überwiegenden Teile inländische Verhältnisse betraf, unterstand der Zensurhoheit der Polizeihofstelle. Das ging natur­gemäß nicht ohne Reibungen ab, zumal die Staatskanzlei das Recht für sich in Anspruch nahm, auch die inländischen Zeitungsartikel mitzuzen­surieren und sich damit als oberste Zensurbehörde über die Polizeihofstelle zu setzen. Was zur Folge hatte, daß diese jene Zeitungsblätter, die nur inländische Artikel enthielten, der Staatskanzlei zu entziehen trachtete. Dem suchte Baron Bretfeld schon im Jänner 1818 durch ein ausführlich begründetes, den alten Zustand wiederherstellendes kaiserliches Kabinetts­schreiben an Sedlnitzky zu begegnen, fand jedoch hiefür nicht die Zu­stimmung des Staatskanzlers 207). Beiden Zensurstellen hatte die berühmte, im September 1810 erlassene Vorschrift für die Leitung des Zensurwesens als Richtschnur zu dienen, die eine „zweckmäßig geleitete Lese- und Schreibfreiheit“ anstrebte 208). Das war, was Metternich betraf, keine Pieuchelei. Noch in Totis hatte er sich gegen jeden kleinlichen Zwang und gegen allzu strenge Zensurverbote ausgesprochen, die mehr Schaden als Nutzen brächten 209). Auch im Kriege von 1813 wollte Metternich jede gehaltvolle, den Tatsachen nur einiger­maßen entsprechende Flugschrift durchgehen lassen. Und noch 1838 ist er dem Zensor der Polizeihofstelle entgegengetreten, der Gévays Urkunden­sammlung zur österreichisch-türkischen Geschichte nur unter der Vor­aussetzung bestimmter Abänderungen oder Auslassungen approbieren wollte 21 °). Die Zensur der Staatskanzlei erstreckte sich auf Zeitungen, Bücher und Broschüren sowie auf Theaterstücke. Noch in Totis hat Metternich Radermacher zum Zensor der Wiener Zeitung bestellt211), die sich von jeder Rückerinnerung an die Kriegszeit fernzuhalten und auf Besatzungs­dauer allen patriotischen Ergüssen zu verschließen hatte. Das ist Rader­macher, zumal er bald auch den österreichischen Beobachter zu zen­surieren hatte, nicht leicht gefallen. Der Sterbliche, so seufzte er, ist noch nicht geboren, dessen Zeitungszensur allen gefiele. Im September 18 ri ist Lebzeltern mit dem Zensoramte betraut worden. Aber schon im Juni 1812 ist ihm der österreichische Beobachter wieder abgenommen und Hudelist übertragen worden. Metternichs Anforderungen aber entsprachen sie beide nicht. War der eine zu flüchtig, so war der andere so ängstlich, daß er es am liebsten gesehen hätte, wenn man ganz ohne Zeitungen ausgekommen wäre 212). So lag es nahe, Gentz, der sich 1810 für ein möglichst liberales Zensurreglement ausgesprochen hatte, nach Wien zurückzuberufen und ihn als politischen Zensor über den österreichischen Beobachter zu setzen, während die weit hinter diesem zurückstehende Wiener Zeitung statt “•) A. Viesner, Denkwürdigkeiten d. österr. Zensur 305. Vgl. hiezu auch H. v. S r b i k i, 494 ff. S07) 18 I Vorträge 310 und Notenwechsel ad Polizei 78. ™8) A. Wiesner 1. c. 213. 20B) 09 XI 19 Vorträge 270. sl°) 38 IX 6 Zensurvotum Notenwechsel ad Polizei 79. su) Zur Gesch. d. Wiener Zeitung no; A. Winkler i. d. Festschrift von 1928 87 f., 90. rtü) p Wittichen 1. c. 3/1, 77, 281. 41

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