J. K. Mayr: Inventare Teil 5. Band 2. Geschichte der österreichischen Staatskanzlei im Zeitalter des Fürsten Metternich (1935)
IV. Der Beamtenkörper der Staatskanzlei - 2. Besonderheiten
und Jarcke. Die tiefen Wirkungen, die dieser Kreis — dem, wie man sieht, die Staatskanzlei nicht fremd gewesen ist — auf das katholische Glaubensleben der Kaiserstadt während und nach der napoleonischen Epoche ausgeübt hat, sind allbekannt. Friedrich Schlegel allerdings, einst einer seiner begeistertsten Mitglieder, hat sich später scharf gegen die zunehmende Verweltlichung und Verflachung dieser Bewegung ausgesprochen: alles Christliche — so äußerte er sich im Juni 1816 zu seiner Frau — wird doch nur als eine Parteisache betrieben; es wäre besser gewesen, die Feinde hätten gesiegt, denn der Sieg bringt überall die wahre Gefahr und nicht die Verfolgung 612). Daß diese Konvertiten und ihre Anhänger auch ihrerseits von regem Bekehrungseifer erfüllt gewesen sind, ist leicht zu verstehen. So hat sich z. B. Pilat viele Jahre lang um Gentz bemüht, den Breslauer Protestanten, der schon 1811 der Konversion nicht abgeneigt war und sich 1819 — wie sich Pilat zu Friedrich Schlegel äußerte — in puncto religionis auf so gutem Wege befand, daß die „Büffeltaufe im Weinhauser Defilé“ unmittelbar bevorzustehen schien. Pilats religiöse Überspanntheit aber — „diese sonderbare Verwirrung“, die Gentz auf den Einfluß Friedrich Schlegels zurückführte —, ein Bodensatz religiöser Zweifel und nicht zuletzt die Furcht, für charakterlos zu gelten, haben Gentz, der so katholisch gesinnt war, daß ihm Reformation und Revolution in eins zusammenzufallen schienen, den letzten Schritt doch nicht tun lassen613). Erfolgreicher hätte wohl — so urteilt J. Hofer — Hofbauer selbst abgeschnitten, wenn Gentz ihm noch rechtzeitig nahegekommen wäre614). Tatsächlich hat Gentz — wie bekannt — die ihm eigene mittlere Linie zwischen den beiden christlichen Bekenntnissen bis zu seinem Tode eingehalten. Und fand er 1821 auf der einen Seite nichts an Preußen auszusetzen, als daß es, sonst die kräftigste Stütze der Welt, nicht katholisch war, so glaubte er 18 r 8 auf der anderen eine zweite Reformation heraufkommen zu sehen, wenn sich nicht der Papst selbst an die Spitze der katholischen Erneuerungsbewegung stellte61B). Und wenige Wochen vor seinem Tode erschien ihm das Wort von der „ewigen Verdammnis“ als das häßlichste aller Sprachen, wie er ja auch — sonst so furchtsam und zaghaft — dem Tode mutig ins Auge geblickt hat 616). Später hat sich Jarcke in gleichem Sinne an dem bekannten Staatsrechtler Bluntschli versucht, jedoch gleichfalls erfolglos 617). Zweien dieser Repräsentanten — Pilat und Jarcke — hat Metternich in kirchlichen Fragen die Abfassung von Konzepten anvertraut. So hatte Pilat 1834 den Vortrag über die Errichtung eines Jesuitennoviziates in Verona zu entwerfen 618), während sich Jarckes Mitarbeit auf die ver612) H. Finke 1. c. 216. 613) F. Wittichen, Briefe 2, 342; K. Varnhagen, Galerie von Bildnissen 2, 212; E. Guglia, Gentz 47 f. 814) K. Varnhagen, Tagebücher Gentzens 264; J. Körner, Briefe von und an Friedr. und Dorothea Schlegel 244; J. H o f e r 1. c. 270. ei6) K. Mendelssohn-Barthold i, Briefe Gentzens 1, 303; 2, 87. 61°) Aus dem Nachlaß Fr. v. Gentz 1, 96; K. Varnhagen, Denkwürdigkeiten 8, 80, 94. el7) J. Bluntschli, Denkwürdiges 1, 338. *18) 34 I 27 Vorträge 407. 106