Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)
I. Die allgemeine Entwicklung der Reichskanzlei von 1559-1806 - 2. Die Reichskanzlei unter Rudolf II. und Mathias
Rechte des Hauses bereits das weitere Vorgehen Ferdinands in der Kanzleifrage an. Vor seiner "Wahl und in den ersten Monaten nach derselben bediente sich Ferdinand seiner alten Kanzlei, an deren Spitze als Hofvizekanzler Leonhard von Gez stand. Für die Reichsangelegenheiten zog man jedoch den Reichssekretär Pucher heran, der auch mit Ferdinand nach Frankfurt reiste. Da sich die Wiedereröffnung der Reichskanzlei und des Reichsarchivs infolge der schwierigen allgemeinen Verhältnisse sehr stark verzögerte und erst am 16. Dezember 1619 durch den Reichshofratsvizepräsidenten Peter Heinrich von Stralendorff und den Taxator Mechtl, die der Erzkanzler an Stelle des noch immer in seiner Heimat weilenden Ulm mit dieser Aufgabe betraut hatte, erfolgen konnte125), mehrten sich die Fälle, in denen Reichssachen zu expedieren waren. In dieser Übergangszeit hat nun Gez auch die Reichsexpeditionen zusammen mit Pucher unterzeichnet, aus dem Dezember 1619 und Januar 1620 kennen wir eine ganze Anzahl solcher Beispiele 126). Gez war damals eben der Leiter der kaiserlichen Kanzlei auch in Reichssachen. Er überprüfte und genehmigte auch die von Pucher entworfenen Konzepte. Erst Ulms Rückkehr machte im Februar 1620 diesem Zustand ein Ende127). Gleichzeitig hatten aber auch die Vorbereitungen zur Errichtung einer selbständigen österreichischen Hofkanzlei bereits eingesetzt. Im Februar 1620 waren diese Vorkehrungen soweit gediehen, daß Gez, der offenbar vom Kaiser mit den vorbereitenden Arbeiten betraut war, dem Reichsvizekanzler ein Promemoria überreichte, in dem die auf österreichischer Seite für die „Separation“ der Kanzleien maßgebenden Gesichtspunkte zusammengefaßt waren128). Deutlich ersieht man daraus, daß man auf Seite des Kaisers unter dem Vorgeben, alle die Erblande betreffenden Angelegenheiten einschließlich der Sachen des Hofkriegsrats, ebenso wie die Privatkorrespondenzen des Kaisers mit den auswärtigen Potentaten der österreichischen Kanzlei Vorbehalten zu müssen, der Reichskanzlei einen großen, und zwar gerade den wichtigsten Teil der politischen Korrespondenz entziehen wollte. Dies hat auch Ulm klar erkannt und mit Recht sagte er in einer Randbemerkung, daß unter dieser Privatkorrespondenz der Reichskanzlei alle Verhandlungen, die der Kaiser mit ausländischen Herrschern 125) Vgl. den Bericht v. 18. Dez. 1619 i. Mzer. R. K. 8 b. 12#) So von 1619 Dez. 28. i. Belg. Hofkorr. 11, ebenda v. 1620 Jan. 20. u. 25.; besonders kennzeichnend aber die kaiserl. Antwort auf die Petition der Reichshofräte v. 4. Jan. 1620 i. R. H. R. Verf. A. 4, Nr. 9. Für die Zeit unmittelbar nach der Wahl vgl. 1619 Aug. 28., Mitteilung der Wahl an Württemberg. 127) Ein Schreiben Ferdinands II. über die Maßnahmen gegen Bethlen Gabor v. 8. Febr. 1620 ist wieder von Ulm und Pucher unterzeichnet (Belg. Hofkorr. 11). — Vgl. jetzt auch V. Thiel, Die innerösterreich. Zentralverwltg. i. Arch. f. őst. G., in, 508 f. 12S) Gedruckt nach einer Abschrift in meinem Aufsatz „Der Kampf zwischen Reichskanzlei und österreichischer Hofkanzlei um die Führung der auswärtigen Geschäfte“ i. Histor. Vierteljahrschrft., 1924, 311 f. Nachträglich habe ich i. Mzer. R. K. 1 eine andere Überlieferung dieses Promemorias aufgefunden, die offenbar das Original darstellt und mit eigenhändigen Randbemerkungen Ulms versehen ist. Gegenüber der von mir gedruckten Abschrift zeigen sich sowohl in der Fassung des Promemorias, die hier umfangreicher ist, wie in den Glossen Ulms Abweichungen. Ulms Glossen zeigen hier noch besser den von ihm bzw. vom Erzkanzler eingenommenen Standpunkt. Im Druck a. a. O. 312, Zeile 4, ist auf Grund dieser besseren Überlieferung das Wort rechtssachen in reichssachen zu verbessern. 39