Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)

I. Die allgemeine Entwicklung der Reichskanzlei von 1559-1806 - 2. Die Reichskanzlei unter Rudolf II. und Mathias

zu führen habe, entzogen werden könnten, wie man dies zur Zeit Khlesls gesehen hätte. Er betonte daher immer erneut, daß alle Schriftstücke, die der Herrscher in seiner Eigenschaft als Kaiser unterfertige oder erlasse, nur durch die Reichskanzlei expediert werden könnten, lediglich die von ihm als Landesfürsten ausgehenden der neuen Kanzlei zufallen dürften. Es bedarf keiner näheren Erklärung, wie schwierig in vielen Fällen, besonders in solchen der hohen Politik, eine klare Scheidung sein mußte, vielfach war sie ja überhaupt unmöglich. Die Versuche, die der Erzkanzler, der auch eine wesentliche Schmälerung seiner Einkünfte aus den Taxen zu befürchten hatte, machte, um das drohende Unheil abzuwenden, hat Kretschmayr geschildert, wir können hier auf seine Darstellung verweisen 129). Der Kur­fürst hatte dabei nicht den geringsten Erfolg. Sdion vor dem i. April 1620 amtierte die neue österreichische Kanzlei ganz selbständig, denn an diesem Tage mußte Ulm an den Kurfürsten von Mainz berichten, daß aus der neuen Kanzlei viele Privilegien ausgingen, die nicht mehr von ihm unterzeichnet wurden. Die Unterschrift des ersten österreichischen Hofkanzlers Verda von Werdenberg trifft man zum ersten Male schon am 30. Januar 1620, doch waren die ersten Monate des Jahres 1620 noch eine Zeit des Über­ganges. Die Bedeutung, die der Schaffung einer selbständigen österreichischen Hofkanzlei für die Politik der Kaiser aus dem habsburgischen Hause zukam, ist wiederholt gewürdigt worden, ebenso wie dietreibendenMotive dieser Maßnahme, die in der veränderten Stellung des Kaisers zum Reiche, das für die Politik seines Hauses gegenüber den Erbländern an die zweite Stelle zu rücken begann, und in dem Streben, sich ein von dem Haupt der Reichsstände unabhängiges Verwaltungsorgan zu schaffen, zu suchen sind 129). Neben und nach diesen Beweggründen hoch­politischer Natur darf aber doch auch noch auf ein anderes Moment hin­gewiesen werden, das der Errichtung einer selbständigen österreichischen Hofkanzlei sehr förderlich wurde: das war das Interesse, das die Beamten der bisherigen österreichischen Kanzlei­abteilung an einer solchen Entwicklung hatten. In einer für den Taxator Mechtl bestimmten Aufzeichnung aus den ersten Monaten des Jahres 1620 13°), die deutlich die Loslösungsbestrebungen der Beamten der öster­reichischen Abteilung und die ungeklärten Verhältnisse der Übergangszeit erkennen läßt, wird direkt ausgesprochen, daß auf Betreiben des Sekretärs Grapler „aus der österreichischen und steyrischen Hofkanzlei“ (worunter die aus Graz mitgebrachten Beamten Ferdinands verstanden werden) „e i n Corpus und also eine geheime Kanzlei gemacht werden soll“. Grapler ver­sprach sich dadurch zweifellos eine Hebung seiner persönlichen Stellung. Ebenso klar erhellt daraus das parallele Interesse des damaligen Registrators 129) Fellner-Kretschmayr, Zentralverwaltg., I/i, 151 ff. u. Reichsvizekanz­leramt, 428. Vgl. auch Osw. Redlich, Gesch. Österreichs, 6, 2 f. 13°) „Notabilia die separation zwischen der reichs- und österreichischen expedition betreffend“ i. R. K. Verf. A. 23, Nr. 45. Sehr anschaulich entnimmt man diesen Aus­führungen, wie die österreichischen Beamten sich bemühten, der Reichskanzlei das Terrain Schritt für Schritt abzugraben, indem man die Ausfertigung von einzelnen Diplomen dem ordentlichen Geschäftsgang entzog, den Versuch zur Herstellung einer eigenen Gold­bulle machte, der Registrator Mägerl allmählich Vorräte an Schreibmaterial für die neue Kanzlei beiseite legte und anderes mehr. 40

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