Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)
I. Die allgemeine Entwicklung der Reichskanzlei von 1559-1806 - 2. Die Reichskanzlei unter Rudolf II. und Mathias
fürsten bereits am io. März ihren Schlußbericht erstatten los). Das Reichsarchiv blieb so unter der Obhut Stralendorffs und der Registratoren versperrt in Prag liegen 103 104). Johann Schweikhard von Mainz hatte sich noch zu Lebzeiten Rudolfs II. ehrlich bemüht, die Verhältnisse in der Reichskanzlei zu bessern. Wir kennen bereits sein Memorial aus dem Jahre 1610. Seine Bestrebungen setzte er auch noch 1611 fort105), sie stehen im engsten Zusammenhang mit den Versuchen der Fürsten, die ganze kaiserliche Regierung zu reformieren. Sie hatten ihren Ausgangspunkt von den Beratungen der Fürsten zu Prag im Sommer des Jahres 1610 genommen. Offenbar hängt damit auch das zum Teil von Neudegger veröffentlichte anonyme Gutachten über eine Reformation der kaiserlichen Hofbehörden zusammen 106). Es führt den Titel 5/Geproponierte reformatio des kaiserlichen Hofwesens 1611“. Daß sein Verfasser den Kurfürstenkreisen nahegestanden sein muß, hob bereits Kretschmayr hervor. Wenn sich dieses Gutachten auch hauptsächlich mit dem geheimen Rat und dem Reichshofrat, ferner mit der Hofkammer und dem Hofkriegsrat befaßt, so fällt doch bei der engen Verbindung der beiden erstgenannten Ratskollegien mit der Reichskanzlei auch manches Streiflicht auf den Geschäftsgang der Kanzlei und werden zur Behebung seiner Mängel verschiedene Gedanken vorgebracht. Die Entwicklung der Verhältnisse am Hofe Rudolfs verurteilte jedoch alle Reorganisationsver- suche zum Scheitern. Der Erzkanzler wollte aber nicht nur die Mißstände beseitigen, ihm lag auch daran, seine Rechte auf die oberste Leitung der Kanzlei zu sichern und zu stärken. Der Aufenthalt in Prag mochte ihn in diesem Vorhaben bestärkt haben und sein Vorgehen nach Rudolfs Tod und während des Interregnums zeigt sich bereits von diesen Tendenzen bestimmt. Die bevorstehende Wahl eines neuen Reichsoberhauptes schien ihm die richtige Gelegenheit, die alten erzkanzlerischen Rechte zu erneuern und womöglich zu erweitern. Deutlich gehen seine Absichten aus einem Briefe seines Kanzlers Faust an seinen Sekretär Hensel hervor 107). Johann Schweikhard handelte es sich in erster Linie darum, seinen Einfluß auf die Ernennung des Reichsvizekanzlers, der Sekretäre und übrigen Kanzleibeamten zu sichern und er dachte daran, den künftigen Kaiser in der Wahl103) Ebda., Nr. 81. Der Bericht hat zahlreiche Beilagen, die für den damaligen Zustand der Registratur und der Kanzlei überhaupt von Wichtigkeit sind. Vgl. auch C h r o u s t, io, 384. 104) Den Gedanken, das Archiv von Prag abzutransportieren, hatte Johann Schweikhard längst aufgegeben, zumal er bei den anderen Kurfürsten im Hinblick auf Mathias keinen Anklang gefunden hatte. 105) Vgl. das Schreiben des Kurfürsten an Barvitius v. 26. Dez. 1611 bei C h r o u s t, Briefe u. Akten, 10, 186. 1U6) Das Gutachten ist im bayer. geh. Staatsarchiv in München (K. sch. 165/17) und in der Hs. 108 (Bd. 2, fol. 29—59) des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs erhalten. Ob das Münchener Exemplar ein Original ist, erscheint mir nicht sicher. Es ist teilweise gedruckt nach der Münchener Überlieferung bei M. J. Neudegger, Geheime Rats- und Hofexpeditionsreformation in Österreich unter Kaiser Mathias (= Beiträge zur Geschichte der Behörden-Organisationen, des Raths- und Beamtenwesens, 6), weit vollständiger bei Fellner-Kretschmayr, Zentralverwaltung, I/2, 371 ff. Wenn Neudegger im Titel seiner Veröffentlichung Mathias nennt, ist dies insoferne irreführend, als das Gutachten bestimmt noch in die Zeit Rudolfs fällt. 107) Ch roust, Briefe u. Akten, 10, 436: Schreiben Fausts v. 10. April 1612. 34