Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)

I. Die allgemeine Entwicklung der Reichskanzlei von 1559-1806 - 2. Die Reichskanzlei unter Rudolf II. und Mathias

müßte97). Johann Schweikhard hegte trotz gegenteiliger Versicherungen des Königs Mathias die Befürchtung, daß dieser sich der Reichsakten be­mächtigen wolle 98 * 100). So unbegründet waren diese Vermutungen nicht, denn am 5. Juni 1611 hatten Mathias’ Kanzler Khrenberg und sein Sekretär Schrötl beim Vizekanzler dagegen protestiert, daß bei der beabsichtigten Übersied’ lung der Reichskanzlei auch die österreichischen Akten mitgenommen würden "). Die Furcht war begründet, daß die Ausscheidung dieser „öster­reichischen“ Akten nicht ohne Konflikte möglich wäre. Es kam bekanntlich nicht mehr zur Übersiedlung Rudolfs ins Reich, wiewohl sich die Kurfürsten bis zum letzten Augenblick, sehr darum bemühten. Johann Schweikhard beschäftigte unausgesetzt die Sorge um die Reichsarchive, er sprach sich in einem Gutachten nachdrücklich für ihre Fortschaffung aus Prag im Inter­esse aller Reichsstände aus und noch am 2. Januar 1612 bat er den Kur­fürsten von Sachsen, auf Mittel zu sinnen, wie man sie von dort weg­schaffen könnte 10°). Als er dann die Nachricht von dem am 20. Januar 1612 erfolgten Ableben des Kaisers erhielt, erteilte er bereits am 2 6. Januar Stralendorff den Befehl, die nötigen Maßnahmen für die Sicherung der Reichsarchive und der kaiserlichen Siegel in seinem, des Erzkanzlers Namen zu treffen 100a) und nur wenige Tage später sandte er seinen Hofrats- präsidenten Anselm Casimir von Umstatt und den Lie. iuris Kaspar Fleisch­bein nach Prag zu Mathias und den geheimen Räten Rudolfs, um dort die nötigen Vorkehrungen zu treffen 101). Ihre vom 9. Februar datierte In­struktion wiederholte eigentlich nur den Inhalt der an den Reichsvizekanzler ergangenen Weisungen: ihr Hauptaugenmerk sollten sie auf die Ablieferung und Kassierung der kaiserlichen Siegel, auf die Sammlung der bei den ver­schiedenen Beamten befindlichen Reichskanzleiakten und auf die sichere Verwahrung dieser sowie des ganzen übrigen Reichsarchivs richten102). Noch vor ihrer Ankunft in Prag hatte indessen Stralendorff diese Ziele im we­sentlichen erreicht, die kassierten Siegel Rudolfs II. waren ihm übergeben worden und auch die außenstehenden Akten hatte er, nachdem sich an­fänglich der Reichshofratsreferendar Wacker und der Sekretär Hertel leb­haft gegen ihre Ablieferung gesträubt hatten, in Sicherheit gebracht. Da Mathias der Mainzer Gesandtschaft gegenüber eine loyale Haltung ein­nahm und die von ihm ursprünglich beabsichtigte „Separation“ der öster­reichischen Akten aus dem Reichsarchiv auf die Vorstellung der Gesandten hin, daß eine solche während des Interregnums höchst bedenklich wäre und vom Erzkanzler nicht verantwortet werden könnte, fallen ließ, konnten die Mainzer Bevollmächtigten das Reichsarchiv, nachdem die von den Beamten zurückgelieferten Akten größtenteils von ihnen versieglt worden waren, in den Kanzlei- und Registraturräumen versperren und dem Kur­97) C h r o u s t, 483. ”8) C h r o u s t, 556. ") Mzer. R. Kzlei. 6 (Translation der Kanzlei). 10°) Chr oust, Briefe u. Akten, 10, 189, 199 u. 203, Anm. 1. 100a) Mzer. Wahl- und Krönungsakt. 8 a. 101) C h r o u s t, 10, 282. 102) Die Instr. i. Mzer. Wahl- u. Krönungsakt. 8 a, Nr. 66, hier auch die Korrespon­denz des Erzkanzlers mit Stralendorff. 3 33

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