Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)

I. Die allgemeine Entwicklung der Reichskanzlei von 1559-1806 - 2. Die Reichskanzlei unter Rudolf II. und Mathias

1578 erfolgt war, sehr nachteilig. Bekanntlich blieb in Wien eine Regie­rung zurück, an deren Spitze stets einer der Brüder des Kaisers stand. So wie dieser Regierung Hofkammer- und Hofkriegsräte, die man als die hinterlassenen zu bezeichnen pflegte, zur Verfügung standen, so bedurfte sie auch des nötigen Kanzleipersonals 67). Dieses Personal wurde zur Gänze von der Reichskanzlei bestellt, aus deren Taxamt es auch seine Besoldung empfing. Diese in Wien verbliebene Kanzleiabteilung hatte sich naturgemäß in erster Linie mit den inneren Angelegenheiten der alten österreichischen Erbländer, soweit sie nicht dem innerösterreichischen und tirolischen Zweig des Herrscherhauses unterstanden, und den gerade damals im Vordergründe der Politik stehenden ungarischen Fragen zu befassen. Sie darf jedoch nicht mit der österreichischen Abteilung der Reichskanzlei, die wir seit 1566 deutlicher verfolgen konnten, identifiziert werden. Diese verblieb vielmehr am kaiserlichen Hofe zu Prag, zumal ja auch alle Gratialsachen, wie Verleihung von Privilegien, Standes­erhöhungen usw., an die erbländischen Untertanen weiterhin vom Kaiser entschieden wurden. Die Wiener Kanzleiabteilung, die bisweilen auch als hinterlassene Reichshofkanzlei, aber auch als österreichische Expedition bezeichnet wurde, diente ausschließlich der Bearbeitung der an die Erz­herzoge einlangenden und der Abfassung der von ihnen ausgehenden Schriftstücke. Mit dem jeweils die Regierungsgeschäfte führenden Erz­herzog hatten sich die Mitglieder dieser Abteilung auch zu den ungarischen Landtagen zu verfügen und folgten ihm auch während der Kriege gegen die Türken ins Feldlager nach Ungarn. Am Beginn ihrer Wirksamkeit war ihr Personal kein großes. An der Spitze stand als Kanzler oder Direktor Sekretär Wolf Unverzagt, der bisher die österreichische Expedition versehen hatte, dem seit ij8o Sebastian Westernacher als Hof­sekretär zur Seite stand 68). Ihnen waren anfänglich drei bis vier Schreiber zugeteilt. Westernacher erhielt später den Sekretär Wirich als Hilfskraft zugeteilt, ferner auch den Kanzlisten Bausegg. Seit 1596 wird Georg S c h r ö 11 der Jüngere als Sekretär in den Unterschriften genannt89). Unverzagt blieb bis zu seiner Ernennung zum Hofkammerpräsidenten oberster Leiter der Wiener Kanzleiabteilung. Westernachers Stellung ist in den letzten Jahren des 16. Jahrhunderts nicht ganz klar. Er war viel­fach längere Zeit von Wien abwesend, andererseits bezog er sein Gehalt aus dem Taxamt so wie vorher und wird vor seinem 1599 erfolgten Tode auch als Hofkanzleidirektor des Erzherzogs Mathias bezeichnet70). Im Jahre 1601 wurde jedenfalls der früher von Westernacher besorgte Dienst auch von Unverzagt versehen, da dieser sich beim Kaiser darüber beklagte e7) Vgl. Th. Fellner, Zur Gesch. d. österr. Zentralverwaltg. i. Mitt. d. Inst. f. öst. Geschfg. 8, 294 ff. "*) Über Organisation und Personal der Wiener Kanzleiabteilung vgl. den Bericht des Taxators Mechtl v. 10. Okt. 1607 i. R. K. Verf. A. 34 b. Er sagt auch, daß Unver­zagt das „directorium“ anvertraut worden sei. Der Titel Direktor wird in dieser Zeit häufig gebraucht, so wird auch Khlesl später als Direktor des geheimen Rats bezeichnet. Offiziell wird Unverzagt noch 1581 R. kais. Mt. Rat und geheimer Sekretär der Österreich. Lande genannt (Farn. Akt. 34: 1581 Okt. 29), vgl. über ihn und Westernacher unten S. 372 u. S. 382. et>) österr. Akt. Tirol 6: ij 96 Nov. 9. 70) Vgl. unten S. 382. 27

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