Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)
I. Die allgemeine Entwicklung der Reichskanzlei von 1559-1806 - 2. Die Reichskanzlei unter Rudolf II. und Mathias
Stralendorff gedacht63 64 65 * *); dieser wurde dann auch tatsächlich an den kaiserlichen Hof gezogen, jedoch nur in den geheimen Rat berufen, während Coraduz noch weiter Verwalter des Vizekanzleramtes blieb. Auf Stralendorff griff man nun zurück, nach einigem Sträuben, das in seinem hohen Alter und seiner schwachen Gesundheit begründet war, übernahm er zunächst provisorisch die Verwaltung der Reichskanzlei und 1607 wurde er dann vom Kaiser zum wirklichen Vizekanzler ernannt84). Der Kurfürst von Mainz hatte gegen seine Ernennung um so weniger einzuwenden, als Stralendorff ja, aus dem Mainzer Dienste hervorgegangen, bis zu einem gewissen Grade als Vertrauensmann des Erzkanzlers gelten konnte, was auch in seiner Korrespondenz mit Kurfürst Johann Schweikhard anläßlich seiner Ernennung zum Ausdruck kam. Mit Stralendorffs Ernennung zum Vizekanzler schließt die Episode der interimistischen Kanzleileiter, die, wenn man von der kurzen Vizekanzlerschaft Kurzens absieht, zwei Jahrzehnte gedauert hatte. Eine planmäßige Verkürzung der Rechte des Erzkanzlers, der durch diesen Zustand eigentlich ohne Stellvertreter war, da die Kanzleiordnung über die Ernennung von provisorischen Kanzleileitern nichts bestimmte und sie der Kaiser ohne ihn vornehmen konnte, wird man in dieser Vorgangsweise aber nicht zu erblicken haben. Abgesehen davon, daß Rudolf II. den Kontakt mit Mainz dabei stets aufrecht erhielt und dem Erzkanzler auch bei diesen interimistischen Besetzungen ein nachträgliches Konsensrecht einräumte64 a), erklärt sie sich zur Genüge aus Rudolfs Wesensart, dessen Mißtrauen und Sprunghaftigkeit es besser taugen mochte, an der Spitze der Kanzlei Personen zu sehen, die jederzeit enthoben werden konnten. Auch wird man nicht übersehen dürfen, daß, wie auch der Sekretär Barvitius in einem Schreiben an den kurfürstlichen Kanzler betonte6B), der Mangel an geeigneten Kandidaten für das Vizekanzleramt, wie übrigens auch für die Sekretärposten, sehr groß war. Auch waren die Verhältnisse am Hofe Rudolfs II. derart schwierige, daß der Eintritt in kaiserliche Dienste durchaus nicht verlockend war. Die Schwierigkeit, geeignete Räte zu finden, zeigte sich ja auch beim Reichshofrat, der in Rudolfs letzter Zeit vielfach ganz unzulänglich besetzt war. Oft bemühte man sich durch Jahre, eine geeignete Person zu gewinnen 68). Wie der ganzen kaiserlichen Verwaltung war auch der Reichskanzlei die Verlegung der kaiserlichen Residenz nach Prag, die bereits 63) Vgl. die Schreiben des Kaisers an den Erzkanzler v. 26. Juli u. des Barvitius an den Kanzler des Erzkanzlers Faust v. 27. Juli 1602 i. Mzer. R. K. u. Taxamt 3. M) Vgl. die Akten i. Mzer. R. K. u. Taxamt 3. 64a) Für die Auffassung des Kaisers und des geheimen Rates über das Recht der Beamtenernennung ist sehr charakteristisch das Protokoll des geheimen Rats v. 27. Febr. 1606 (R. K. Verf. A. 11, Nr. 2), in dem es anläßlich der Ernennung eines Nachfolgers für den Taxator Vehlin heißt: „und obwohl J. K. M. der mainung gewest, sy wehren befugt auch für sich selbst dißorts diener allein anzunehmen, jedoch nachdem sy bericht empfangen, daz es communicato consilio mit dem churfürsten zue Mainz als erzcanzler beschehen solle, so heten Ihr M. gnedigst ihr gefallen lassen, dise resolution uf die weis, wie es in solchen fällen vorhin gehalten worden, durch ein schreiben zu berichten und zue gleichmessiger einwilligung zu bewegen.“ 65) Vgl. Anm. 63. 6<i) Vgl. über den Beamtenmangel Alfred L o e b 1, Beiträge zur Geschichte der kaiserl. Zentralverwaltung im ausgehend. 16. Jht. i. d. Mitt. d. Inst. f. öst. Geschfg. 27, 635 ff.; vgl. auch Viktor Thiel, Die innerösterr. Zentralverwaltg. i. Arch. f. öst. Gesch. 105, 60 f. 26