Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)
I. Die allgemeine Entwicklung der Reichskanzlei von 1559-1806 - 2. Die Reichskanzlei unter Rudolf II. und Mathias
zurufen hören „und sonderlich ist onnot, das euer churfürstl. gnaden den vicecanzler forchten, wie ich wol an euer churfürstl. gnaden vorfarn und ir selbst gemerkt hab. Illius est respicere et vereri dominum etc. nec vice versa“. Besser vielleicht als langatmige Ausführungen erklären diese kernigen Sätze die Entwicklung seit 1559 und die geringe praktische Auswirkung, welche die großen Errungenschaften der Kanzleiordnung erfahren hatten. Mangelnde Energie der Erzkanzler, ebenso aber auch die Macht der Tatsache, daß der Vizekanzler in seiner Doppelstellung als Vertreter des Erzkanzlers und Beamter des Kaisers eben doch in erster Linie und weit mehr Vertrauensmann des Kaisers als des fern vom Hofe befindlichen Erzkanzlers sein mußte, hatten es mit sich gebracht, daß sich das Ernennungs recht des Kurfürsten von Mainz in ein bloßes Vorschlags- und formales Approbations recht verwandelt hatte. Erstenberger empfahl dem Kurfürsten für das Vizekanzleramt den Geheimrat Jakob Kurz von Senftenau, der das Amt schon dreimal interimistisch versehen hatte, aufs wärmste. In der Tat schlug Wolfgang von Mainz dem Kaiser in einem Schreiben vom 8. Mai 1587 Kurz als Vizekanzler vor ®2), doch nicht diesen allein, sondern er nannte als weitere Kandidaten den bereits 1570 vorgeschlagenen Elsenheimer, den Reichshof- rat Johann Wolfgang Freymon und den bayrischen Rat Dr. Hieronymus Nadler. Im übrigen ließ das erzkanzlerische Schreiben die von Erstenberger so sehr empfohlene Energie stark vermissen. Der Kurfürst urgierte dann zwar noch zweimal beim Kaiser die Besetzung des Vizekanzlerpostens und empfahl auch Kurz allein nochmals Rudolf II.53), damit ließ er es aber auch bewenden. Der Kaiser seinerseits bestellte Kurz lediglich zum Verwalter der Kanzlei. Erst nach fast sechsjähriger Dauer dieses Provisoriums notifizierte der Kaiser am 6. Februar 1593 dem Erzkanzler seine Absicht, Kurz zum wirklichen Vizekanzler zu ernennen und verlangte hiezu des Erzkanzlers Zustimmung, die auch alsbald erfolgte 54). Die Vizekanzlerschaft Kurzens dauerte indessen nicht lange, da er schon am 11. März 1594 starb 85). Der Kaiser bestellte mit der Begründung, daß wegen des bevorstehenden Reichstages rasches Handeln nötig sei, Freymon, der inzwischen geheimer Rat geworden war, zum vorläufigen Verweser der Kanzlei, dem er den Reichshof rat Rudolf Coraduz als Vertreter beigab, und stellte dem Kurfürsten eine spätere Vereinbarung über die Ernennung eines Vizekanzlers in Aussicht, womit sich der Kurfürst auch einverstanden erklärte. Auch unter Jakob Kurz — und das gleiche gilt, um es schon hier vorwegzunehmen, auch von seinen Nachfolgern — ließen Ordnung und Zustand der Reichskanzlei viel zu wünschen übrig. Wenn wir in einer aus dem Jahre 1589 stammenden Rechtfertigungsschrift des Sekretärs Benck 56) von der Unfähigkeit, Faulheit und Disziplinlosigkeit der Kanzleischreiber der lateinischen Expedition lesen, wenn wir hören, wie gierig die Schreiber nach Trinkgeldern waren, wie sie die zum Reinschreiben über52) Ebda. 63) Ebda. Schreiben v. 18. Juni u. 29. Okt. 1587. 54) R. K. Verf. A. 2. 55) Schreiben Rudolfs II. an Mainz v. 12. März 1594 i- Mzer. R. K. u. Taxamt 3. 56) R. K. Verf. A. 53. — Über Benck vgl. unten S. 413. Benck hatte einen Streit mit den Schreibern, die ihn beschuldigten, sie um die Entlohnung für ausgefertigte Kopien gebracht zu haben. 24