Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)
VI. Biographische Daten und Betätigung der einzelnen Beamten - 1. Die Reichsvizekanzler
lieferte indessen bei der Wahl Leopolds I., um die sich auch sein Bruder Maximilian große Verdienste erwarb, den Beweis seiner Treue und Loyalität für das Haus Österreich 2Ö9). Bei Leopold I. galt daher Kurz auch sehr viel. Der venezianische Gesandte Molin nennt ihn anläßlich seines Todes geradezu „il principale direttore del governo“ 26°). Er schloß sich enge an den Obersthofmeister Grafen Portia an. Allerdings hinderte in diesen letzten Jahren bereits schwere Krankheit den Vizekanzler oft an der Teilnahme an den Ratssitzungen und an der Führung der Geschäfte 281). Kurzens Verhältnis zu den Kurfürsten von Mainz war naturgemäß aufs stärkste durch seine kaiserliche Gesinnung beeinflußt. In den ersten Jahren seiner Amtsführung scheint man ihm in der Umgebung des Erzkanzlers Anselm Kasimir nicht sehr freundlich gesinnt gewesen zu sein. Zumindest läßt eine spitzige, gegen Kurz gerichtete Bemerkung des Mainzer Sekretärs Jakob Seyler auf eine solche Gesinnung schließen 262). Später dürften sich jedoch seine Beziehungen zu Mainz durchaus normal gestaltet haben 263), erst die Wahl Leopolds brachte ihn in einen kaum verschleierten Gegensatz zu Johann Philipp von Mainz. Kurz scheint auch in den Angelegenheiten der Kanzlei nach selbständigem Vorgehen gestrebt zu haben, was man in Mainz sicher nicht gerne sah 284). Die geistigen Fähigkeiten Kurzens, seine Sachkenntnis, Erfahrung und Beredsamkeit wurden allgemein hoch eingeschätzt. Der Venezianer Nani bezeichnet ihn sogar als den besten Kopf unter den Räten des Kaisers 2eB). Auch an Initiative und Fleiß fehlte es dem Vizekanzler nicht. Zu den Schattenseiten seines Charakters gehörte eine gewisse Neigung zu Intrigen, die sich in seinem Verhältnis zu dem lateinischen Sekretär Walderode und auch anderen Beamten gegenüber zeigte. Walderode hat nach dem Tode des Reichsvizekanzlers eine Denkschrift ausgearbeitet, in der er bittere Klage über die Anfeindungen durch Kurz und über dessen Intrigen gegen ihn beim Kaiser führte 266). Wenn man auch den Anschuldigungen dieser Schrift, die manch interessantes Streiflicht auf die damaligen Verhältnisse in der Kanzlei wirft, nur teilweise wird Glauben schenken dürfen und Wal- derodes Behauptungen mit großer Vorsicht aufgenommen werden müssen, so führt sie doch viele Einzelheiten und Tatsachen an, die auf Kurz kein gutes Licht werfen. Getrübt wird sein Charakterbild auch durch seine notorische Bestechlichkeit 267). Eine sehr charakteristische Geschichte hiezu erzählt der freisingische Gesandte Hans Georg Freiherr von Puech. Als er dem Reichsvizekanzler 1642 sechs Goldstücke, jedes zu 20 Dukaten, 259) Uber die Wahl Leopolds I. vgl. A. F. Pribram i. Arch. f. öst. Gesch. 73, 79 ff. 26°) Venet. Depeschen vom Kaiserhof II/i, 227. 261) Vgl. den Bericht Nanis Font. rer. Austr. II/27, 10. 262) Er spridht davon, daß es am Hofe Leute gebe, die lieber ihre bairischen Kreaturen, als die treuen Diener des Erzkanzlers befördern. 26S) Der Venetian. Gesandte Giustiniani spricht sogar davon, daß der Erzkanzler Kurz gegen den Kaiser stützte (Font. rer. Austr. II/26, 402). 264) Vgl. Kretschmayr, Reichsvizekanzleramt 449, Anm. 2. 265) „II Curtio sarebbe la miglior testa del conseglio“ i. Font. rer. Austr. II/27, 10. Etwas weniger günstig war Giustinianis Urteil, demzufolge Kurzens Persönlichkeit beim ersten Eindruck bedeutender erschien, als sie tatsächlich war. 26e) R.K. Verf. A. 53. 267) Auf diese wies schon R u v i 11 e a. a. O. 9 auf Grund der Berichte der branden- burgischen Gesandten hin. 22* 339