Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)

VI. Biographische Daten und Betätigung der einzelnen Beamten - 1. Die Reichsvizekanzler

1627, nachdem der Kaiser ihn eben wieder zum Dienstantritt hatte auf­fordern lassen, ist Ulm zu Marbach gestorben 216). Ulms Charakter und Fähigkeiten haben bei seinen Zeitgenossen und auch später keine eben günstige Beurteilung gefunden. Es scheint mir, daß dabei doch die beißende Kritik, die Abraham von Dohna in seinem Gedicht auf den Regensburger Reichstag von 1613 an Ulm geübt hat und die gewiß von Objektivität weit entfernt war, allzu stark nachwirkte 217). Zweifellos war Ulm ein ungestümer und hitziger Mann, mitunter hochfahrend, in seiner streng katholischen Einstellung auch ein Fanatiker 218), und es gebrach ihm gewiß an der nötigen Abgeklärtheit und Ruhe des Urteils, wie sie gerade für seine Stellung erwünscht gewesen wären. An seinem ehrlichen, guten Willen wird man aber nicht zweifeln können. Der spricht auch aus seinem Konflikt mit den Abgesandten des Regensburger Rates; daß er in einer Zeit, in der die Annahme von Geschenken etwas Selbstverständliches und Bestechungen gang und gäbe waren, das ihm von ihnen angebotene Weingeschenk nicht annehmen wollte, kann nur sympathisch berühren, die Art, in der diese Zurückweisung geschah, zeigt allerdings, wie wenig Ulm zum Unterhändler geeignet war 219). Der Vorwurf der Ignoranz, der eben­falls gegen ihn erhoben wurde, stützt sich hauptsächlich darauf, daß er 1613 gegenüber einer Abordnung der Stadt Schwäbisch-Hall irrigerweise der Meinung Ausdruck verlieh, die Stadt wäre protestantisch, wiewohl er über sie, da sie in der Nähe seiner Fleimat lag, um so genauer hätte unterrichtet sein müssen 22°). So auffallend die Tatsache sein mag, ist sie doch wohl nicht ausreichend, um über Ulms Kenntnisse ein abfälliges Gesamturteil zu begründen. Eine eingehendere Untersuchung seiner ganzen Tätigkeit, die an der Hand der zahlreichen, von ihm selbst verfaßten Schriftstücke durch­zuführen wäre, dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem günstigeren Urteil über ihn gelangen 221). Ulms Nachfolge trat Peter Heinrich Freiherr von Stralendorff, der bereits seit 1623 das Amt geleitet hatte, an. Der Erzkanzler trug ihm das Reichsvizekanzleramt nach Ulms Tode an, nachdem er ihn bereits am 19. August 1627 dem Kaiser vorgeschlagen hatte. Wenige Tage später gab Ferdinand II. sein Einverständnis kund und ernannte Stralendorff am 2 5* September 1627, wobei er in dem Dekrete die Zustimmungserklärung des Erzkanzlers ausdrücklich betonte 222). Stralendorff stand damals im 48. Lebensjahre. Er war bereits 1605 in den Reichshofrat eingetreten 223) und 216) R. K. Verf. A. 2. 217) Ch roust, Abraham v. Dohna 213, 290 h Auch Chroust nennt S. 92 Ulm den unfähigen Reichsvizekanzler. 218) Dies trug ihm von Seite des Kardinals Madruzzo die Bezeichnung „sciavo di preti“ ein, vgl. Chroust, Br. u. Akt. 11, 782. 219) Vgl. über diese Affaire Chroust, Br. u. Akt. 11, 722, Anm. 1 u. Abraham v. Dohna 290. Ulms Rechtfertigung i. R. T. A. 90, er beruft sich darin bezeichnenderweise auf die von ihm geführten Memorialien, die er ständig führte, also eine Art Tagebücher. 22°) Vgl. Chroust, Abrah. v. Dohna 291. 221) Eine Biographie Ulms fehlt. Einige Angaben in Khevenhüllers Konter- fet 2, 73. 222) Vgl. das Schreiben des Kurfürsten an Stralendorff v. 9. Sept. 1627 i. R. H. R. Verf. A. 26, die Korrespondenz mit dem Kaiser u. das Dekret i. R. K. Verf. A. 2. S23) St i e v e, Briefe u. Akt. 6, 96: 1605 Sept. 17 Manhard an Max. v. Bayern. 334

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