Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)

I. Die allgemeine Entwicklung der Reichskanzlei von 1559-1806 - 1. Die Neuorganisation der Reidiskanzlei im Jahre 1559 und ihre Entwicklung bis zum Tode Maximilians II

sparsamen Kanzleiführung geschehen, da nach dem Aufenthaltsorte des Kaisers bald die Reichs- und bald die erbländischen Sachen in der Mehrzahl wären und man, wenn das ganze Kanzleipersonal nach diesem Gesichts­punkte getrennt würde, die doppelte Anzahl von Beamten halten müßte, ohne sie jedoch stets voll beschäftigen und ausnützen zu können. Mag auch diese Argumentation des Kaisers, die übrigens in der Schilderung der Kanzleiverhältnisse, wie wir noch sehen werden, den Tatsachen nicht entsprach, teilweise von Ersparungsrücksichten diktiert gewesen sein, so zeigt sich darin doch, wie schon Fellner hervorhob 13), die verschiedene Auffassung, die der Erzkanzler und der Kaiser über die Reichskanzlei, besonders aber über die Steilung des Vizekanzlers hatten. Hätte es der Mainzer am liebsten gesehen, wenn die Reichskanzlei wirklich nur aus­schließlich der Erledigung der Reichsgeschäfte gedient hätte und der Vize­kanzler nur sein Vertreter gewesen wäre, so strebte der Kaiser darnach, mit dem Aufgehen seiner bisherigen Hofkanzlei in der Reichskanzlei diese auch weiterhin für seine Erblande verwenden zu können und vor allem anderen den Vizekanzler in erster Linie zu seinem Beamten und persön­lichen Vertrauensmann zu machen. Der Erzbischof begnügte sich für diesmal jedoch mit den Aufklärungen des Kaisers. In die endgültige Redak­tion der Kanzleiordnung kam lediglich in die Einleitung ein ziemlich inhaltsloser Satz über die Notwendigkeit, die „Vermischung“ der Reichs­und erbländischen Sachen hintanzuhalten und im Absätze über das Kanzleipersonal hieß es, daß alle Reichssachen abgesondert von denen der Erbkönigreiche und Länder behandelt werden sollten. In den Paragraphen über die Aufgaben der Sekretäre wurde dem Kaiser jedoch deren Verwen­dung für die erbländischen Sachen, soweit es die Reichsgeschäfte gestatten, ganz allgemein zugebilligt. Die Frage der Trennung der Reidhssachen von denen der kaiserlichen Erblande sollte aber nicht mehr von der Tages­ordnung verschwinden, sie ist schließlich zur Schicksalsfrage der Reichs­kanzlei geworden. Eine zweite Differenz zwischen erzkanzlerischer und kaiserlicher Auffassung betraf die Öffnung der in die Reichskanzlei ein­laufenden verschlossenen Schreiben. Der Erzkanzler wollte sich das Recht zur Öffnung sämtlicher Schreiben, soweit sie nicht zu eigenen Händen des Kaisers adressiert waren, sichern. Der Kaiser widerstrebte diesem Begehren und wieder zeigt seine Begründung seiner Haltung, daß man bei den zahlreichen aus verschiedenen Ländern einlangenden Korre­spondenzen ja nicht von außen wissen könne, ob ihr Inhalt das Reich beträfe, so recht die Doppelstellung, die man kaiserlicherseits fortan der Reichskanzlei zugedacht hatte. Auch hier gab der Erzkanzler nach und die Aufnahme eines auf die Öffnung der Schreiben bezüglichen Artikels unter­blieb 14). Die weiteren Meinungsverschiedenheiten betrafen fast nur technische Fragen des Geschäftsganges, so forderte der Kaiser die Einschrän­kung der Revision der Konzepte durch den Erz- oder Vizekanzler auf wichtigere, nicht nach Formularien verfaßte Stücke, während die erz­13) a. a. O. ili, 144. 14) Hingegen enthält die Reichshofratsordnung vom 3. April 1559 (bei Fellner-Kretsch- mayr I/2, 281 ff.) in § 6 die Bestimmung, daß der Vizekanzler alle an den Kaiser adressierten Schreiben, die nicht dem Kaiser zu eigenen Händen übergeben werden, eröffnen soll, vgl. auch unten S. 145 ff. 10

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