Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)

Einleitung

Mit dieser Urkunde hatte der Erzkanzler das Ziel der jahrhundertelangen Bestrebungen seiner Vorgänger erreicht. Sein Recht auf die Ernennung eines Kanzleichefs und damit ein ständiger Einfluß auf die Führung der kaiserlichen Politik schien damit festgelegt. Das Reichsvizekanzleramt wurde nun als ständige Einrichtung geschaffen, sein Inhaber sollte als ein vom Erzkanzler völlig abhängiger Beamter an die Stelle des bisherigen Hofkanzlers treten. Nikolaus Ziegler, bisher erster Sekretär der Kanzlei Maximilians L, wurde der erste Reichsvizekanzler und unterfertigte am 3. Juli 1519 das Wahlausschreiben Karls an die Kurfürsten. Alles schien im Sinne der Mainzer Ansprüche geordnet und Albrecht von Mainz am Ziele seiner Wünsche. Indessen nur zu bald zeigte sich, daß die Ausübung aller dieser Rechte von den realen Machtverhältnissen abhängig war. Schon am 25. Januar 1321 mußte sich Albrecht von Mainz zu einem Abkommen mit dem aus Spanien mit Karl V. gekommenen Großkanzler Arborio de Gatti­nara bequemen, in dem er seine erzkanzlerischen Befugnisse im Falle seiner Abwesenheit dem Großkanzler überließ 8). Das Reichsvizekanzleramt war dadurch völlig bedeutungslos geworden. Daran änderte auch die Bestäti­gungsurkunde nichts, die Kaiser Karl V. dem Kurfürsten am 2. Mai 1321 über seine erzkanzlerischen Rechte gab. Nach Gattinaras Tod im Jahre 1530 wurde Nikolaus Granvelle zum kaiserlichen Kanzler ernannt, den Titel Großkanzler gab man auf, aber auch Granvelle war der eigentliche Chef der kaiserlichen Kanzlei, der nicht nur die Diplome unterfertigte und die kaiserlichen Siegel führte, sondern auch die kaiserliche Politik leitete. Ihm gegenüber trat der Vizekanzler, der als sein Untergebener erscheint, ganz zurück 9). Es kam noch hinzu, daß während der oftmaligen und langen Abwesenheit Karls V. von Deutschland die Reichsangelegenheiten durch König Ferdinand I. geführt wurden und dann dessen Hofkanzlei, mit einem österreichischen Hofkanzler oder Hofvizekanzler an der Spitze, die Aus­fertigungen besorgte. Demgegenüber wog es nicht schwer, daß der Erz­kanzler, wenn er, wie 1330 zu Augsburg und 1532 zu Regensburg, am Kaiserhofe weilte, die Urkunden ins Reich unterfertigen und die kaiser­lichen Siegel führen durfte. Maßgebend war und blieb, je länger, je mehr, der Einfluß Granveiles. Der Erzkanzler Albrecht von Mainz begnügte sich auch mit dieser kargen, rein formalen Betätigung und machte keinen Versuch, seine Rechte geltend zu machen. Politische Rücksichten auf seine Stellung zum Kaiser waren für dieses Verhalten bestimmend. Die Stände des Reiches hingegen sahen in dieser Hintansetzung des Erzkanzlers einen Anlaß zu einer Beschwerde an den Kaiser, in der sie sich gegen die Führung der Reichsgeschäfte durch einen Ausländer wandten und deren Zuweisung an einen deutschen Vizekanzler forderten. Diese Beschwerde blieb ebenso fruchtlos wie die Schritte, die 1544 das Mainzer Domkapitel in der Sache unternahm 10), da es in der Mißachtung des Erzkanzellariats eine schwere Beeinträchtigung der Rechte des Hoch­stiftes erblickte. Wie weit man sich auf kaiserlicher Seite über das Er­nennungsrecht des Mainzers bereits hinweggesetzt hatte, zeigt am besten 8) Vgl. Kretschmayr a. a. O. 394 u. Seeliger a. a. O. 93 f. “) Die Kanzleiverhältnisse unter Karl V. im einzelnen bedürfen noch sehr einer ge­naueren Untersuchung. Wir haben eine solche von Fritz Walser zu erwarten. 10) Über die Aktion des Domkapitels vgl. Seeliger a. a. O. 102 ff. 1* 3

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