Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)

Einleitung

Einleitung. Jahrhundertelang war die Reichskanzlei der deutschen Könige das Zentrum aller Amtsgeschälte am Königshofe und die Stelle, deren sich die Herrscher zur Vollziehung aller wichtigeren Regierungshandlungen be­dienten. Ihr Leiter, der Kanzler, war vielfach der erste Berater des Königs für die äußere und innere Politik des Reiches. Als im 13. Jahrhundert die Fürsten des Reiches immer stärker nach der Teilnahme an der Regierungs­gewalt strebten und jene Tendenzen immer mehr hervortraten, die das Gefüge des Reiches auflockern sollten, da lag es nahe, daß sich diese Be­strebungen auch auf die Reichskanzlei, als eines der wichtigsten Organe königlicher Regierungsgewalt, richteten. In das Ende des 13. Jahrhunderts reichen auch die Bemühungen der drei geistlichen Kurfürsten zurück, maß­gebenden Einfluß auf die Reichskanzlei zu gewinnen. Das Erzamt der Kur­fürsten von Mainz und Köln als Erzkanzler des Reiches für Deutschland und Italien bildete, wiewohl es längst zu einer bloßen Würde geworden war, die formale Grundlage für ihre Forderungen und der Erzbischof von Trier vermochte sich gleichfalls auf das gerade damals seinem Erzstift zu­gefallene Erzkanzleramt in Burgund zu stützen. Während indessen den Ansprüchen der Kurfürsten von Köln und Trier aus naheliegenden Gründen in der Folgezeit praktische Bedeutung nicht mehr zukommen konnte, sollten jene des Mainzers in Zukunft von einschneidenden Folgen für die Reichskanzlei werden und deren Entwicklung in eine ganz neue Richtung drängen. Nachdem Erzbischof Gerhard II. von Mainz sich schon am j. Juli 1292 von König Adolf von Nassau ein Privileg hatte geben lassen, in dem der König in betonter Weise versprach, ihn in allen Ehren, Rechten und Frei­heiten, die ihm gemäß seines Erzkanzleramtes in Deutschland zustünden, zu schützen und zu erhalten, setzte Gerhard es unter Adolfs Nachfolger Albrecht I. durch, daß dieser in einer Urkunde vom 13. September 1298 das Privileg Adolfs wiederholte und erklärte, daß dem Erzkanzler zufolge seiner Rechte für ewige Zeiten die Ernennung des kaiserlichen Hofkanzlers als seines Vertreters zustehe *). Die Bedeutung dieses merkwürdigen Privi­legs ist oft erörtert und gewürdigt worden2). Mochte es auch einem Albrecht I. gegenüber von keiner praktischen Wirkung sein, so war es doch ’) Vgl. hierüber im allgemeinen Gerhard S e e 1 i g e r, Erzkanzler u. Reichskanzleien. Innsbruck 1889, 44 ff., u. Heinrich Kretschmayr, Das deutsche Reichsvizekanzleramt, Arch. f. österr. Gesch. 84, 385 ff., ferner Harry B r e s s 1 a u, Handbuch d. Urk. Lehre i2, 512 ff.; bes. 519 u. Wilh. Erben i. Urkundenlehre v. W. Erben, L. Schmitz-Kallenberg u. Osw. Redlich I, 82 ff. Die beiden Urk. sind gedruckt: Mon. Germ. Const. 3, 468, u. 4, 13. 2) Vgl. besonders Bresslau a. a. O. 519 f. Vgl. jetzt auch Alfred Hessel, Jahr­bücher d. deutsch. Reiches unt. Albrecht I., 65. 1 1

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