Historische Blätter 7. (1937)

Paul Kletler: Karl der Grosse und die Grundlegung der deutschen Kultur

Nun drängt sich für eine Wertung dieser Eroberertätigkeit, in der Mit- und Nachwelt das Charakteristische von Karls äußerer Politik sahen,1 die entscheidende Frage auf: Ist Karl ein abenteuernder Eroberer, eine Ge­waltnatur von ungezügeltem Machtdrang, oder ist er ein wirklicher Reichs­gründer, ein großer Baumeister? Schon die Überlegung, daß nur der Erfolg, der Erfolg für die Zukunft, einen Wertmaßstab für politische Leistungen abgibt und daß eben aus dem Körper des von Karl dem Großen errichteten Reiches zwei große, bis heute bestehende Staaten heraus­gewachsen sind, Deutschland und Frankreich, ja daß selbst mit der etwas abseitig erscheinenden Markgründung in Spanien ein staatenbildender Keim gelegt wurde, drängt zu einer positiven Wertung der Eroberungs­politik Karls. Diese Beurteilung wird noch unterstützt, wenn man bedenkt, daß Karl auch in Verwaltung und Gesetzgebung die Grundlagen für Jahrhunderte geschaffen hat; ich erwähne nur die sofortige Einführung der Grafschaftsverfassung in Sachsen, die Einrichtung der Schöffen und die Teilung der Gerichte nach Sachen, die Fülle des in den Reichs- und Volksgesetzen aufgezeichneten Rechtes. Aber lassen wir alles Wissen um die Zukunft beiseite und versetzen wir uns in die Vorstellungswelt Karls des Großen selbst, in den Geist seiner Zeit und der unmittelbar darauffolgenden Epoche: Auch dann wird uns seine Politik als gerechtfertigt erscheinen. Karl war in einheitlich reiner Abstammung Franke, Westgermane, ja wir können, wie wir hören werden, auch schon sagen, Deutscher. Er selbst war sich seines Deutsch­tums liebevoll bewußt; er ließ bekanntlich die alten germanischen Helden­lieder sammeln, die Volksrechte aufzeichnen oder ergänzen, gab den Monaten altfränkische Namen, trug eine Kleidung, die sich nur wenig von der heimischen Volkstracht unterschied; am tiefsten und mensch­lichsten aber enthüllt sich uns Karls germanisches Lebensgefühl wohl darin, daß alle seine Frauen und Nebenfrauen deutsche Namen tragen. Von diesem privaten Lebensgefühl Karls führt vielleicht der Weg zum Verständnis seiner großen Politik. Betrachten wir die Völker, die sein Reich umschloß und sehen wir von der romanischen Grundschichte in Gallien und Italien, von den Arabern, die mit Westgoten und Basken gemischt in der Spanischen Mark sitzen, von den Kelten der Bretagne und von den größtenteils ja nicht eigentlich zum Reiche gehörigen Slawen 1 Einhard stellt bekanntlich fest, Karl. d. Gr. habe dem Frankenreich „fast das Doppelte hinzugefügt“ (Vita Karoli M. c. 15); und der Poéta Saxo rühmt von Karl, er habe allein mehr Länder und Völker unterworfen als alle früheren Könige (V v. 165 f., MG. Poet. Lat. IV 59). 4

Next

/
Oldalképek
Tartalom