Historische Blätter 7. (1937)
Paul Kletler: Karl der Grosse und die Grundlegung der deutschen Kultur
daß es sich dabei um eine furchtbare Rache für die Vernichtung des fränkischen Heeres am Süntel durch die aufständischen Sachsen, also um einen rein politischen Strafakt handelt, der mit der Christianisierung nichts zu tun hat6S. Will man bei einer politischen Maßnahme mitten in der Kette rauhester Kriegsnotwendigkeiten überhaupt von Schuld sprechen, so liegt sie gemeinsam auf Karl, der in diesem Punkt das Erbe der seit den Tagen der Merowinger blutigen und rücksichtslosen fränkischen Eroberungspolitik übernahm, und — moralisch weit schwerer lastend — auf den sächsischen Edlingen, die, wie wir hörten, um sich gegen die innersächsische Revolution zu behaupten, sich der Hilfe des Feindes bedienten, mit Karl Verträge schlossen und selbst ihm jene unglücklichen 4500 Stammesgenossen als Empörer in die Hände lieferten, auch die zu deportierenden bezeichneten5*. Aber auch die Christianisierung selbst wurde — abgesehen von jenen adeligen Überläufern — wie gesagt mit schonungsloser Härte erzwungen. Da nun die Kirche im Frühmittelalter auch Häretikern und Andersgläubigen gegenüber im allgemeinen noch tolerant und menschlich verfuhr56 und sich die vorausgegangene Mission der Iroscbotten und Angelsachsen auch in der Tat völlig unblutig vollzogen hatte — offenbar weil die Verkettung mit der Politik fehlte —, müssen wir auch die Verantwortung für die gewaltsame Sachsenbekehrung in der Hauptsache Karl dem Großen zuschieben. Eine Entschuldigung, mindestens Erklärung der Härte des Hauptgesetzes, der Capitulatio, liegt einmal in den zu unterdrückenden gräßlichen heidnischen Bräuchen der Menschenopfer und Hexenverbrennungen, wovon ja schon die Rede war, dann aber auch in dem drakonischen Charakter des eigenen sächsischen Volksrechtes, an dem die Sachsen mit Hartnäckigkeit festhielten und mit dessen Aufzeichnung in Gestalt einer königlichen Satzung eben damals begonnen worden war; denn auf den zweiten Abschnitt der Lex Saxonica, der jedes Kapitel mit den Worten „capite puniatur“ schließt, wobei es sich unter anderem z. B. nur um Diebstahl von Vieh oder 58 58 Vgl. Dörries, 1. c. 23; Lintzel (in „Karl d. Gr. oder Charlemagne?“) 59 spricht von Hinrichtung „nach fränkischem Eeichsrecht, das auf Hochverrat die Todesstrafe setzte“. 51 Lintzel, Der sächs. Stammesstaat 54. 65 Die Härte gegen Gottschalk entspricht nicht der allgemeinen Ansicht der damaligen Kirche, da „man früher doch die Häretiker mit Worten und Disputen überwunden hatte“ (Remigius von Lyon), siehe H. v. Schubert, Kirchengesch. Deutschlands im Frühmittelalter 453. Für das 10. Jahrhundert vgl. das früher erwähnte Verhalten Pilgrims von Passau Hexen und Zauberern gegenüber und noch für das 11. Jahrhundert die Entrüstung über die Hinrichtung einiger Manichäer (meine Deutsche Kultur zw. Völkerwanderung und Kreuzzügen 43 f.). 25