Historische Blätter 7. (1937)
Paul Kletler: Karl der Grosse und die Grundlegung der deutschen Kultur
Karl der Große und die Grundlegung der deutschen Kultur. Von Paul Kletler. Betrachtet man eine politische Karte des Karolingerreiches, so fällt zunächst dessen ungeheure Ausdehnung in die Augen. Hatten die Merowingerkönige im 6. Jahrhundert, abgesehen von ihrem eigenen Stamme, den Franken, von germanischen Stämmen nur die Burgunder dauernd und die Thüringer für einige Zeit unterworfen, die Westgoten in Südgallien (Aquitanien) in eine lockere Abhängigkeit gebracht, den Alamannen einen Teil ihres Gebietes weggenommen, die Sachsen gar nur vorübergehend tributpflichtig gemacht, so hat unter den späteren merowingischen Schattenkönigen das kräftige Geschlecht der Karolinger zuerst als Hausmeier, dann mit Pippin, dem Vater Karls des Großen, den Königsthron besteigend, Friesland erobert, das Herzogtum bei den Thüringern und bei den Alamannen beseitigt, Aquitanien endgültig dem Frankenreich einverleibt, den Kirchenstaat unter dem Schutze des fränkischen Königs in kräftiger Abwehr gegen den oströmischen Kaiser gegründet. Ja, Pippin erobert sogar einige Gaue der ihre Unabhängigkeit am hartnäckigsten verteidigenden Sachsen. Aber dieses große Reich wäre sicher wieder infolge der Sonderbestrebungen der Stämme und Völker auseinandergefallen, wäre nicht in Karl dem Großen ein Herrscher von überragendem macht- und kulturpolitischen Format erstanden. Karl der Große dehnt das Frankenreich über Bayern und Sachsen aus, erwirbt die Königskrone der Langobarden, begründet eine tatsächliche Herrschaft über den Kirchenstaat, bringt noch südlich davon das langobardische Herzogtum Spoleto in Abhängigkeit, ja, gewinnt sogar auf das Fürstentum Ben event im äußersten Süden Italiens Einfluß und errichtet jenseits der Pyrenäen die Spanische Mark. Das slawische Karantanien war schon als Teil Bayerns dem Reiche angegliedert worden, die Slawen an der Elbe beugen sich der fränkischen Oberhoheit, Böhmen erscheint als tributpflichtig. Karls Reich erstreckt sich von der Nordsee und der Eider bis an den Ebro und die Grenzen Ostroms, von der Bretagne bis an die Elbe und Raab. 3