Historische Blätter 4. (1931)

Ferdinand Bilger: „Großdeutsche“ Politik im Lager Radetzkys

gereizten Schweiz in ihren Rückwirkungen auf Süddeutschland und Italien“. In der schweren Verantwortung seines Kommandos wächst er jetzt auch innerlich in die Ideen des Metternichschen Systems. Österreich ist ihm die Macht, „welche, seit dem Beginn der unglücklichen Epoche, in der wir uns befinden, dem allgemeinen Wohl, besonders aber der Sicherheit von Italien und der Ruhe von Deutschland die schwersten Opfer brachte“ 40. Und nun gewinnt ihm die Frage der Heeresorgani­sation gegenüber dem Landwehrgedanken von 1828 ein völlig ver­wandeltes Gesicht. „Das System einer Nationalbewaffnung“, so ver­lockend es sei, müsse unter dem gegenwärtigen Zeitgeiste „den nach­teiligsten Einfluß auf den gleichen Gang und die Erhaltung der Staats­maschine nehmen“, in einer Epoche, in der „Alles aus dem Geleise gerückt sei“, „allenthalben statt des reinen Soldatengeistes nur politischer Schwindel“ sich zeige, eine „Narrheit der Menschen, von der Gott allein wisse, wann sie ein Ende nehme“ 4l. Im besonderen bleibt ihm das Landwehrsystem unter „den eigen­tümlichen politischen Verhältnissen Österreichs“, unter der herrschenden Zeitrichtung undurchführbar, weil es „in Bälde zu nationalen, d. h. zu böhmischen, österreichischen, italienischen, ungarischen usw. Armeen führen würde“. Es liegt etwas Schicksalsmäßiges in der Tatsache, daß der bedeutendste militärische Kopf des alten Österreich noch vor der Revolution von 1848 „eine gänzliche, auf gleiche Grundsätze basierte Or­ganisation unserer Armee für überaus schwierig hielt“ und sich mit Teil­abhilfen begnügte. „Wir besitzen einige Provinzen“ — so sagt er wört­lich — „die man nie zu kriegerischen Ländern umbilden dürfte, weil man auf ihre Treue nicht sicher rechnen kann... Was entsteht aber unter solchen Mißständen? Die deutschen Provinzen müßten die Last allein tragen, und würden somit für ihre aufrichtige Treue und Ergebenheit ge­straft statt belohnt, wie solches leider schon dermal der Fall ist“ 42. Nicht ohne Wehmut steigt in diesen Worten des böhmischen Standesherrn das Bild des alten österreichischen Heeres vor uns auf mit seinem Offizierskorps, in dem die Begriffe von österreichisch und deutsch sich in Tausenden, die aus fremdnationalem Kulturkreis in seinen Dienst traten, zu einer tatsächlichen, wenn auch nicht politischen Einheit verbanden. Wir fragen uns nach seiner politischen, nach seiner allge­meinen Einstellung zu Deutschland. Er hat an der Bekämpfung Napo­40 Ebenda S. 535. 41 A. a. O. S. 536 und 538. 42 A. a. O. S. 539 und 540. 13

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