Historische Blätter 4. (1931)
Ferdinand Bilger: „Großdeutsche“ Politik im Lager Radetzkys
Unter dem Gewicht dieser Äußerungen ist die Vermutung nicht abzuweisen, daß Radetzkys Versetzung auf den Ruheposten eines Gouverneurs von Olmütz im Jahre 1829 mit seiner Gegnerschaft gegen das Regierungssystem seines Staates zusammenhing. Es heißt, daß diese Friedensanstellung seinen bescheidenen Wünschen vollkommen entsprochen habe. Da erfährt mit der Juli-Revolution von 1830 sein Leben noch einmal eine entscheidende, in Wahrheit tiefgreifende Wendung. Unter dem Befehl des Generals Frimont wird eine starke Armee Österreichs in Italien aufgestellt. Frimont, 1831 zum Präsidenten des Hofskriegsrates in Wien ernannt, empfiehlt Radetzky zu seinem Nachfolger3ß. Auf exponiertem Posten erlebt dieser die Revolutionen in Mittel-Italien, die Agitation Mazzinis im piemontesischen Heer, den Einfall der „Giovine Italia“ in Savoyen, die Propaganda des „Jungen Europa“ 37. Eine tägliche Verteidigungsarbeit beginnt für ihn, die ihn notwendig in immer tieferen Gegensatz zu der Welt des liberalen Gedankens bringt, den er vor wenigen Jahren noch aus der Stille seiner Friedensarbeit heraus selber bekannt hat. Die Denkschrift vom Dezember 1834 zeigt ihn völlig verändert. Sie ist das Ergebnis des Erlebten, einer, dem hohen Sechziger gewordenen Erfahrung, die von jetzt ab sich unter den kommenden Ereignissen nur verstärkt und vertieft. „Wie kann man gute und große Heere mit wenig Kosten erhalten 38“ lautet der harmlose Titel dieser Schrift, der wohl die Ursache geworden ist, daß sie für die innere Biographie des Feldmarschalls un- verwertet blieb. Es ist die volle Absage an seine Ideen von 1828. Damals hatte er durch „die heutige constitutionelle Verfassung“ Frankreichs die Besorgnisse eines Krieges „sehr vermindert“ gesehen, jetzt erblickt er „in der Übermacht des Liberalismus in Frankreich“ eine der Hauptursachen kommender Verwicklungen 39, sieht er „die Bewegungen der auf36 Gavenda a. a. O. S. 71. 37 Siehe insbesondere auch den Steckbrief der Polizeihofstelle in Wien vom 16. Juni 1833, den Michael Mayr in seinem sonst wenig glücklichen Buch (S. 88) über „den italienischen Irredentismus“ abdruckt. Dort heißt es über Mazzini: „Zufolge der über ihn eingegangenen Notizen ist dieser Demagog höherer Art, den man unstreitig als eines der vorzüglichsten Mitglieder und Werkzeuge der Pariser Zentralpropaganda betrachten muß, mit dem deutschen Sühnungsbunde und mit einzelnen Anhängern der Revolution mehrerer Staaten in die engste Verbindung getreten, um die in Deutschland, in Polen und in anderen Ländern vorbereiteten Aufstände mit jenen, die er in Italien zu organisieren trachtete, in genauen Einklang zu bringen.“ 38 „Ende Dezember 1834“ a. a. O. S. 534 ff. 39 A. a. O. S. 535. 12