Historische Blaetter 2. (1921)

G. v. Below: Zur Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft

idealistischen Standpunkt der alten deutschen Wissenshaft fest und bekämpfte von hier aus Positivismus und Marxismus; er nahm mit besonderem Vergnügen den Anlaß wahr, sich gegen sie auszuspre­chen1. Man darf fragen, ob er sich nicht durch seine Ablehnung der Metaphysik später in Verlegenheit gebracht hat. Indessen ist er nie Positivist im üblichen Sinn geworden und nie im mindesten Mar­xist. Wie jeder ernste wissenschaftliche Kämpfer hat er aus dem Kampf mit den bekämpften Richtungen für sich Nutzen gezogen;, dabei seine Position befestigt und erweitert; so eben auch aus seiner Auseinandersetzung mit dem Sozialismus und der sozialen Bewe­gung. Aber er erkannte doch eben die Notwendigkeit, eine Kampf­stellung einzunehmen. Seine späteren Arbeiten über die Objektivität sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis2, über Calvinismus und Kapitalismus, seine Gesellschaftslehre sind durchaus unmarxistisch. Trotz dieses Tatbestandes bringt Tröltsch es fertig, zu behaupten (S. 450), daß Weber und die andern vorhin genannten Forscher ihr Bestes dem Marxismus verdanken! Was sodann Beloch, Pöhlmann und Delbrück betrifft, so hätte Tröltsch Beloch viel eher als die vorhin Genannten, die er „vor allem“ vom Marxismus beeinflußt sein läßt, in den Vordergrund stellen können, da er wenigstens einen regelrechten Positivismus vertritt. Er gehört zu den sehr wenigen respektablen Historikern, die sich bewußt zum Positivismus bekennen. Freilich sind die Bestandteile seiner Ar­beiten, die eine Konzession an den Positivismus bedeuten, die weniger erfreulichen oder, um es direkt auszusprechen, soweit er als Historiker Positivist ist, wird er unwissenschaftlich3, und es liegt deshalb eine Ironie darin, daß Tröltsch gerade die Philosophie an ihm rühmt. Bei Pöhlmann hat Tröltsch offenbar gemeint, daß er, weil er über 1 Vgl. z. B. Archiv für Sozialwissenschaft, Bd. 29, S. 576, eine Stelle, die Webers Standpunkt gegenüber dem marxistischen Positivismus gut erläutert, weshalb ich sie hieher setze: „Der Mach und Exner in seinen metaphysischen (!) Anschauungen nahestehende Historiker L. M. Hartmann leitet aus bestimmten Ansichten über die Prognose des historischen Prozesses den kategorischen Imperativ ab: handle so, daß dein Handeln der (sozialen) Vergesellschaftung dient (woraus, beiläufig folgen würde, daß Jay Gould, Rockefeller, Morgan, deren Leistungen nach jeder konse­quenten sozialistischen Entwicklungstheorie in eminentem Sinn als „Vorfrüchte“ des Sozialismus zu gelten haben, als ethisch geniale Persönlichkeiten qualifiziert werden müßten).“ Tröltsch bleibt nur die Alternative, entweder Weber oder Hartmann als Marxisten zu bezeichnen. Beide im Marxismus zusammenzufassen, ist bei dem ausgesprochenen Gegensatz zwischen beiden nicht möglich. Da aber Hartmann nach seiner eigenen Auffassung und nach der aller Sachverständigen Marxist ist, so kann es nicht auch Weber sein.- Über die Abhängigkeit von Webers Idealtypentheorie von Ed. Meyers und meiner Kritik der älteren Stufentheorien siehe Schmollers Jahrbuch 192Í, S. 248. * Siehe hiezu jüngst Ulr. Wilcken, Schmollers Jahrbuch 1921, S. 354, Anm. 3.

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