Historische Blaetter 2. (1921)

G. v. Below: Zur Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft

Realistisch aber ist die Romantik von Haus aus; ihr Gegensatz gegen das phantastische Naturrecht, die phantastische Naturreligion usw., auch gegen den Klassizismus1 beweist dies. In Frankreich wendet sich die Romantik gegen den unnatürlichen Klassizismus, in Deutschland gegen die klassische Literatur, die jedoch nicht klassi­zistisch ist. Der Gegensatz gegen diese macht jedoch keineswegs das Wesen der Romantik aus; hier ist der Gegensatz, in den sie zu den vorhandenen Erscheinungen tritt, am geringsten. Die deutsche klassi­sche Literatur war ja keineswegsi rein aufklärerisch; zum Teil hatte sie schon den gleichen Kampf wie die Romantik gegen die Aufklärung und den Rationalismus geführt (selbst Schiller für ihren Dichter zu erklären, macht ja der Aufklärung Schwierigkeiten). Immerhin bedeutet die Romantik gegenüber unserer klassischen Dichtung einen gewissen Zug zum Realismus1 2. Die vornehmste Arbeit aber hatte sie in der Überwindung der Aufklärung auf dem Gebiet der Wissenschaften und der Politik zu leisten, und hier sehen wir überall in der romantischen Rechtswissenschaft, Philologie, Geschichte usw. einen realistischen Zug3. Es ist nur eine besondere Anwendung der allgemeinen Feststellung, die wir gemacht haben, wenn wir weiter zu dem Nachweis übergehen, daß der Marxismus ebensowenig vor der Romantik etwas Brauch­bares voraus hat wie der Positivismus überhaupt. Die Frage, welchen Sinn die Marxistische Geschichtsauffassung hat, wird in einer umfangreichen Literatur nichts weniger als einhellig be­antwortet. Wenn wir einer neuerdings vertretenen Deutung folgen4, so 1 Georges Pellissier, Le réalisme du romantisme (Paris 1912), S. 15. 2 In Frankreich ist die romantische poetische Literatur im Verhältnis zur vorausgehenden noch mehr realistisch als in Deutschland. Balzac, den die Rea­listen als ihren Meister ansehen, ist Romantiker (Pellissier S. 195). Die Oppo­sition der „Realisten“ gegen die Romantiker dient in Wahrheit sehr wenig dem echten Realismus (S. 280). Das beste bei den realistischen und „naturalistischen“ Dichtern stammt aus der Romantik, ist romantisch (Pellissier S. 282 und 286). Pellissier berücksichtigt übrigens nur die französische Romantik und nur die poetische Literatur. * Treitschke, der in einer Zeit schrieb, die der Romantik noch die Anerken­nung versagte, hebt doch hervor, daß Tieck „eine neue, ganz moderne Kunst- gatung“, nämlich die der sozialen Novellen, eingeführt hat. Deutsche Geschichte. III., S. 694. 4 E. Brandenburg, Die materialistische Geschichtsauffassung (1920), S. 23 fl. Tröltsch, Der Marxismus, Histor. Ztschr., 120, S. 402 fl.: über Feuerbach und Marx: „eine metaphysische Gedankenlosigkeit und eine sehr schlechte Erkennt­nistheorie der Abbildung, aber an sich kein Materialismus“. „Die ganze Feuer- baeh-Marxsche Erkenntnistheorie der Abbildung zwar äußerst roh, aber nicht materialistisch“. Über die „Krise des Marxismus,“ „Scholastik und Jesuitismus der Methode der orthodoxen Marxisten“ s. die Literatur in der Ztschr. f. Sozial­wissenschaft 1904, S. 694 f.

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