Historische Blaetter 2. (1921)

G. v. Below: Zur Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft

haben Marx und Engels nicht eigentlich einen Materialismus in der Ge­schichtsauffassung vertreten, wohl eine ökonomische, aber nicht un­mittelbar materialistische Geschichtsauffassung. Da sie indessen wieder und wieder die größten Hervorbringungen des Menschengeistes als bloße Widerspiegelungen der ökonomischen Verhältnisse bezeichnen, über das maßgebende Moment der Produktivkräfte eine nähere Aus­kunft nicht geben und ihre ganze Theorie in merkwürdig schillernder Art vortragen, so ist es begreiflich und verzeihlich, daß die Mehrzahl ihrer Anhänger ihnen die ökonomisch-materialistische Geschichtsauf­fassung zuschreibt. Und Anhänger und Gegner haben es auch als Ruhm von Marx hervorgehoben, daß er durch die einseitige Betonung der wirtschaftlichen Ursachen die Forschung auf diese hingelenkt habe, Gegner, indem sie die Einseitigkeit zwar ablehnten, aber eben doch anerkennen zu müssen meinten, daß im Grunde erst durch ihn eine rechte wirtschaftsgeschichtliche Literatur geschaffen worden sei. Uns interessiert weniger die Frage, ob der marxistische Ökonomismus ganz materialistisch ist, als die andere, in welchem Maß Marx die wirtschaftsgeschichtliche Forschung befördert hat. Es wird uns nun erzählt, auch von ganz verständigen Historikern, daß Marx „einen früher in seiner Bedeutung für die Gesamtentwicklung fast ganz über­sehenen Teil des Ursachenkomplexes, den wirtschaftlichen, in den Vordergrund geschoben hat“. Ungefähr ebenso drückt sich Tröltsch in seiner Abhandlung über den Positivismus (S. 4) aus, indem er dasselbe, nur ein wenig ein­geschränkt infolge einer Reminiszenz aus meiner „Geschichts­schreibung“, betreffs der Herleitung der geschichtlichen Er­scheinungen aus der „Abhängigkeit von den technischen und wirt­schaftlichen Naturgrundlagen“ behauptet. „Ähnliches hatten bereits \ oltaire und Montesquieu samt ihren Nachfolgern, dann Möser und Heeren, schließlich auch einzelne Historiker der Romantik auch ihrerseits unternommen, aber ohne die umfassende Grundsätzlichkeit, die scharfe Analyse sozialökonomischer Tatsachen und Begriffe und vor allem ohne die synthetischen und genetischen Mittel der dialek­tischen Methode“'. In seiner Abhandlung über den „Marxismus“, 1 1 In einer Anmerkung- hiezu prägt Tröltsch den Satz: „Die letzteren hebt v. Below in seiner tendenziösen Weise als Vorausnahme aller Wahrheitsmomente durch konservative Forscher hervor“ und meint mich unter Hinweis auf eine Seitenzahl bei Fueter auf Grund einer bei diesem gewonnenen Lesefrucht darüber belehren zu müssen, daß „diese Vorausnahme sich bis auf den weniger konservati­ven Voltaire hätte erstrecken lassen“. Tatsächlich hatte ich selbst in meiner „Ge­schichtsschreibung“, S. 3 und 139, schon von der Berücksichtigung der Wirtschaft-

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